„Sehnsucht nach Sebastian Kurz“

Rundruf bei Experten: Zustand der ÖVP spielt dem ehemaligen Obmann in die Hände.
SCHWARZACH. Will Ex-Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz ungeachtet der Affären und der Anklage wegen mutmaßlicher Falschaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zurück in die Politik? Er selbst nährt nicht nur mit Aussagen wie jener, dass derlei „im Moment“ kein Thema sei, Spekulationen. Die Kinopremiere einer Darstellung seines Werdegangs wirkte vergangenen Mittwochabend fast schon wie ein Comeback: Dutzende Anhänger und Weggefährten waren in die Wiener Innenstadt gekommen, darunter fast alle türkisen Regierungsmitglieder bis hin zu Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Eine Beobachterin sprach von einem Klassentreffen. Also einem Wiedersehen bald zwei Jahre nach seinem Rücktritt. Kurz stand im Mittelpunkt und genoss es: „Er will, dass sein Rampenlicht weiter leuchtet“, sagt Heidi Glück, ehemals Sprecherin und Strategieberaterin von Wolfgang Schüssel im Gespräch mit den VN.
„Schwarzer“ Parteivertreter Mattle distanziert
Zumindest die türkise Volkspartei macht es dem 37-Jährigen einfach. Im Unterschied zur schwarzen. Der Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) etwa meinte jüngst im „Standard“, Kurz’ Zeit in der Politik sei vorbei. Nehammer führt seine Politik jedoch fort und trat zuletzt mehrfach mit ihm auf. Als wollte er etwas von einer verbliebenen Strahlkraft abbekommen.

Der Politikwissenschaftler Anton Pelinka ortet in Teilen der ÖVP „eine Sehnsucht nach Sebastian Kurz“. Und zwar aus einem einfachen Grund: „Viele Politikerinnen und Politiker der Partei verdanken ihre gegenwärtige Existenz den Wahlerfolgen, die er erzielt hat. Wenn man sich aktuelle Umfragen anschaut, müssen nicht wenige damit rechnen, bei der nächsten Wahl ihr Mandat zu verlieren und sich eine neue Existenz aufbauen zu müssen.“ Das schaffe Unsicherheit, und Nehammer sei es bisher nicht gelungen, sie zu beseitigen.
Es gibt Leute, die finden, er hätte nach dem Abschied von Kurz im Spätherbst 2021 eine Neuausrichtung der ÖVP vornehmen müssen. Politologe Fritz Plasser meint jedoch, dass er sich dabei quasi selbst im Weg gestanden wäre: „Er ist ein langjähriger Wegbegleiter von Sebastian Kurz, wie viele andere auch. Das erschwert eine von manchen eingeforderte grundsätzliche Emanzipation.“

Aus heutiger Sicht könnte freilich auch Kurz der ÖVP bei der kommenden Nationalratswahlschwer zu Platz eins vor der Herbert-Kickl-FPÖ verhelfen: Plasser ist überzeugt, dass er nicht mehr die Mehrheit der Wähler anspricht. Abgesehen davon warte neben dem Prozess wegen Falschaussage im Oktober noch Unabsehbares: Beim sogenannten „Beinschab-Tool“, zu dem die Ermittlungen noch laufen, gehe es um mehr, so Plasser in Anspielung auf die Frage, ob mit Inseratenschaltungen auf Steuerzahlerkosten eine wohlwollende Berichterstattung erkauft wurde. Kurz und sein Umfeld weisen dies zurück.
Eigene Kurz-Liste? „Möglicher“
Bei Donald Trump in den USA oder Benjamin Netanjahu in Israel sieht man jedoch, dass ein Comeback unter schier unvorstellbaren Umständen möglich sein kann. Bei Kurz sind die Experten vorsichtig: „Stand heute halte ich eine politische Rückkehr für ausgeschlossen“, erklärt Plasser, um hinzuzufügen, dass sich das ändern könne. Pelinka erklärt: „Ich halte es für möglich, aber wenig wahrscheinlich, dass Kurz noch vor der Nationalratswahl 2024 wiederkommt als ÖVP-Obmann. Was ich für möglicher halte, ist eine eigene Kurz-Liste danach. Eine Art Spaltung der ÖVP nach einer schweren Wahlniederlage. Dass dann viele kommen und sagen, dass man mit Sebastian Kurz den Schaden wiedergutmachen könnte.“