Steuerentlastung erhöht Reformdruck

Politik / 16.09.2023 • 13:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Bundeskanzler Nehammer zwischen Finanzminister Brunner (r.) und Sozialminister Rauch: budgetäre Spielräume nach Abschaffung der kalten Progression eingeschränkt. <span class="copyright">Foto: APA</span>
Bundeskanzler Nehammer zwischen Finanzminister Brunner (r.) und Sozialminister Rauch: budgetäre Spielräume nach Abschaffung der kalten Progression eingeschränkt. Foto: APA

Staat verliert durch Abschaffung der kalten Progression Geld: Expertin vermisst Antwort.

SCHWARZACH. Die Abschaffung der kalten Progression wird der Bundesregierung immer wieder als Strukturreform gutgeschrieben. Tatsächlich ist damit eine Art schleichende Steuererhöhung beseitigt worden. Das wurde schon seit Jahren immer wieder versprochen, aber erst jetzt umgesetzt. Aufgrund der massiven Teuerung wäre die kalte Progression zu Lasten von Lohn- und Einkommensbeziehern besonders groß ausgefallen.

Eine Ahnung, um wieviel es geht, haben das „Institut für Höhere Studien“ (IHS) und das „Wirtschaftsforschungsinstitut“ (WIFO) vor wenigen Wochen in einer Studie geliefert: Im kommenden Jahr bleibt den Lohn- und Einkommensbeziehern aufgrund der Abschaffung um knapp 3,7 Milliarden Euro mehr Geld. 2025 wird es sich um voraussichtlich 5,7, 2026 um 7,4 und 2027 bereits um fast neun Milliarden Euro handeln.

Im kommenden Jahr wird die Entlastung fast 3,7 Milliarden Euro ausmachen. Das freut die Steuerzahler, sind aber auch Steuereinnahmen, die Bund, Länder und Gemeinden fehlen. <span class="copyright">Foto: APA</span>
Im kommenden Jahr wird die Entlastung fast 3,7 Milliarden Euro ausmachen. Das freut die Steuerzahler, sind aber auch Steuereinnahmen, die Bund, Länder und Gemeinden fehlen. Foto: APA

Das ist der erfreuliche Teil der Geschichte. Der andere Teil ist, dass das Milliardenbeträge sind, die Bund, Länder und Gemeinden weniger einnehmen. Genauer: Ihre Einnahmen werden um diese Summen weniger stark zunehmen, als sie es ohne Abschaffung der kalten Progression getan hätten. Vor allem Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat sich in den vergangenen Tagen darüber beklagt: Während die Einnahmen „reduziert“ würden, würden sich die Ausgaben durch die Bevölkerungsentwicklung „deutlich dynamischer“ entwickeln.

Keine Überraschung

Überraschend ist das alles nicht. Die Abschaffung bedeute „natürlich eine Einschränkung der budgetären Spielräume“, erklärt WIFO-Budgetexpertin Margit Schratzenstaller gegenüber den VN. Das gelte umso mehr, als die Inflation bei den Staatsausgaben voll zum Tragen komme. Zum Beispiel durch die Anpassung von Pensionen und Sozialleistungen.

„Hier sind energische Schritte erforderlich, die unverzüglich eingeleitet werden sollten“, drängt Margit Schratzenstaller auf Reformen. <span class="copyright">Foto: APA</span>
„Hier sind energische Schritte erforderlich, die unverzüglich eingeleitet werden sollten“, drängt Margit Schratzenstaller auf Reformen. Foto: APA

Die Ausgaben würden auch so schon deutlich zunehmen. Und zwar aufgrund der demografischen Entwicklung, sprich Alterung, aber auch aufgrund des Bedarfs für Zukunftsinvestitionen, so Schratzenstaller unter Verweis auf Kinderbetreuung, Bildung sowie Klimamaßnahmen.

Der Handlungsbedarf wäre also groß. Die Frage, ob dem bereits ausreichend Rechnung getragen werde, beantwortet die Budgetexpertin unmissverständlich und klar: „Bisher wird dem nicht ausreichend Rechnung getragen. Die multiplen kurzfristigen Krisen der letzten Jahre, von der Corona- über die Teuerungs- bis zur Energiepreiskrise, haben die erforderlichen strukturellen Reformen in den Hintergrund gedrängt.“ Das müsse sich ändern: „Hier sind energische Schritte erforderlich, die unverzüglich eingeleitet werden sollten.“

Zur Bewältigung budgetärer Herausforderungen wären laut Schratzenstaller etwa Reformen im Gesundheitsbereich angebracht. <span class="copyright">Foto: APA</span>
Zur Bewältigung budgetärer Herausforderungen wären laut Schratzenstaller etwa Reformen im Gesundheitsbereich angebracht. Foto: APA

Eine günstige Gelegenheit dafür wären nach Ansicht von Schratzenstaller die laufenden Finanzausgleichsverhandlungen von Bund, Ländern und Gemeinden: Sie würden ein Zeitfenster bieten, „das genutzt werden sollte, um Reformen in der Bildungsverwaltung, im Gesundheitsbereich und im Fördersystem anzugehen, denn diese Reformen sind sämtlich föderale Themen“.