Ehrenamt unter Druck? Was die Politik darüber denkt

Der Vorarlberger Landtag hat sich über Ehrenamt unterhalten. Jeder zweite Vorarlberger ist in Vereinen oder anders ehrenamtlich aktiv.
Darum geht’s:
- Ehrenamt in Vorarlberg von Politik und Gesellschaft gestärkt und geschätzt.
- Corona-Krise beeinflusst Engagement, aber Jugendliche zeigen Interesse.
- Politiker verschiedener Parteien haben Ideen zur Förderung des Ehrenamts.
Bregenz Harald Unverdorben ist mindestens sechs Stunden pro Woche mit seinem Ehrenamt beschäftigt. Der 42-Jährige trainiert die U14-Mannschaft des VfB Hohenems – er ist also einer von rund 170.000 Ehrenamtlichen in Vorarlberg. Sie stellen sich in den Dienst der Gemeinschaft, opfern ihre Zeit für eine gute Sache. Kein Wunder also, dass sich die Politik einig in dieser Sache: Das Ehrenamt gehört gestärkt, Ehrenamtlichen gehört gedankt.

Die Grünen haben das Ehrenamt als Thema für die Aktuelle Stunde im Landtag auserkoren. Selten sind Diskussionen unter den Parteien so harmonisch wie an diesem Vormittag. Alle möchten Ehrenamt erleichtern und fördern. Und sie erkennen: Ehrenamt ist vielfältig. Da wären etwa die Blaulichtorganisationen. Allein bei der Vorarlberger Feuerwehr sind 9750 Menschen dabei, 7225 davon im aktiven Dienst, erklärt Feuerwehr-Geschäftsführer Günther Watzenegger. „Wir haben schon 2015 das Projekt ‚Feuerwehr der Generationen‘ gestartet. Das funktioniert bestens, wir haben also kein Nachwuchsproblem“, betont Watzenegger. Während Corona habe das Ehrenamt nicht gelitten. Im Gegenteil, sagt Watzenegger: „Bei der Jugend hatten wir sogar noch Zuwachs.“ Man müsse eben ständig etwas tun, damit man attraktiv für Ehrenamtliche ist.

Grundsätzlich spürt das Ehrenamt in Vorarlberg aber die Corona-Krise, sagt Michael Lederer vom Büro für freiwilliges Engagement im Landhaus. Anhand der Teilnahme an den VHS-Kursen könne man ablesen, was die Vereine momentan beschäftigt. „Dabei scheint neben den immer wichtigen Themen um Recht und Finanzen, die Nachbesetzung der Leitungsorgane eine der größten Herausforderungen unserer Zeit zu sein.“ Die Art des Engagements habe sich geändert, fährt Lederer fort und zählt auf: „Weg von Regelmäßigkeit hin zu Spontanität; weg von der Übernahme von Verantwortungsbereichen hin zur Übernahme einzelner, klar abgesteckter Arbeitspakete; weg von klar aufgeteilten Aufgaben im Vorstand hin zu einem Leitungsorgan mit fluider Verteilung der Verantwortungsbereiche.“ Mit verschiedenen Programmen möchte man Menschen fürs Ehrenamt begeistern.

In der Politik gibt es weitere Ideen. SPÖ-Klubobfrau Manuela Auer fordert beispielsweise fünf Tage Sonderurlaub für Mitglieder von Blaulichtorganisationen. „Gerade jetzt, da sich die Einsätze bei Naturkatastrophen häufen, brauchen wir diese Helfer“, argumentiert Auer. Sie lobt zudem die Caritas Nachbarschaftshilfe als ehrenamtliche Tätigkeit und fordert deren Wiedereinführung. Und sie holt Betriebsräte vor den Vorhang, die gerade für mehr Lohn kämpfen würden.

Auch die grüne Klubobfrau Eva Hammerer zählt Beispiele auf: Da wären Menschen, die einen Flohmarkt organisieren, Pensionistenvereine und Nachwuchs-Fußballtrainer. Laut VFV sind momentan 800 bis 900 Trainerinnen und Trainer in Vorarlbergs Fußballvereinen tätig.
FPÖ-Abgeordnete Nicole Feurstein-Hosp bringt die Faschingszünfte zur Sprache. Und NEOS-Klubobmann Johannes Gasser lobt die Musikvereine. Er fragt sich zudem: „55 Prozent der Vorarlberger sind ehrenamtlich engagiert. Warum sind es die anderen 45 Prozent nicht?“ Gerade auf dem Land müsse man die Vielfältigkeit des Ehrenamts zeigen, etwa indem Vereine in die Schulen eingeladen werden.

Auch Religion lebt vom Ehrenamt. Die fünf großen Moscheeverbände im Land hatten im Jahr 2018 zusammen rund 5700 zahlende Mitglieder. Wie viele ehrenamtlich mitarbeiten, ist nicht bekannt, aber viele Vereinsmitglieder helfen zum Beispiel bei Veranstaltungen. Bezahlt werden ausschließlich die Imame. Auch Roman Dünser aus Braz ist ehrenamtlich aktiv. Er engagiert sich in der Kirche seit 20 Jahren fürs Sternsingen. In wenigen Wochen beginnt für ihn die heiße Phase. „Die Vor- und Nachbereitung ist sehr intensiv, aber es ist für mich eine sehr schöne Zeit, die mir viel gibt“, erzählt Dünser. „Durch das Sternsingen machen die Kinder Jahr für Jahr vielen eine Freude und es wird Kindern und Familien geholfen, die es nötig haben.“ In der Kirche arbeiten rund 20.000 Ehrenamtliche in 60 Bereichen: 4500 Sternsinger, 3000 Ministranten, 3000 Kirchenchorsänger, 1000 bei der Pfarrcaritas, 1000 als Pfarrgermeinderäte und so weiter. Corona habe man ein bisschen gemerkt, sagt Manuela Gangl von der katholischen Kirche. “Nicht alle haben ihr Engagement wieder aufgenommen, das blieb und bleibt natürlich nicht unbemerkt.” Die allgemeine Tendenz zur Projektarbeit spüre man. Deshalb müssen Ehrenamtliche stärker begleitet werden, fährt Gangl fort.

Geht es nach den Grünen, sollen Menschen wie er eine Ehrenamtskarte erhalten. Vorbild dafür sind Baden-Württemberg und Bayern, erklärt Abgeordnete Nadine Kasper. „Die Karte bietet viel Rabatte und kostenlose Eintritte.“ Es wäre ein einfaches Mittel, um Engagement zu unterstützen. Auch über die von der SPÖ geforderten Urlaubstage könne man diskutieren.

Die ÖVP hat sich die Vereine im Land in jüngster Zeit intensiv angesehen. Kommende Woche möchte Landtagsabgeordneter Raphael Wichtl das Ergebnis seiner Untersuchung präsentieren. Schon jetzt hat er Zahlen parat: Die Ehrenamtlichen im Land leisten Arbeit für umgerechnet 35.000 Vollzeitangestellte. Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) ergänzt: „Das könnte niemand finanzieren. Ehrenamt ist das Rückgrat der Gesellschaft.“ Man könne Ehrenamt noch stärken, indem unter anderem Bürokratie abgebaut wird. „Das Vereinsgesetz ist mittlerweile sehr kompliziert. Es muss entrümpelt werden.“

In vielen Bereichen wird versucht, Ehrenamt zu stärken. Fußballtrainern darf mittlerweile eine pauschale Reiseaufwandsentschädigung von 720 Euro bezahlt werden. Aber das Geld spielt bei der Entscheidung keine Rolle, sagt Harald Unverdorben. „Ich war selber im Leistungssport und habe mich als junger Spieler immer über engagierte Trainer gefreut. Jetzt kann ich etwas zurückgeben und das mache ich gerne.“ Er hat einiges zu tun: Drei Trainings pro Woche plus ein Spiel am Wochenende. Herzblut sei das wichtigste, sagt Unverdorben. Seine Spieler danken es ihm: Seine U14 sind ohne Punkteverlust Herbstmeister geworden.