Kommentar: Koalition am seidenen Neos-Faden

Der Treppenwitz der Woche in Wien: Hält die Regierung? Antwort: Ja – aus Angst davor, dass sie nicht hält. Also aus Furcht vor dem, was nach ihr käme: Herbert Kickl, der Beinahe-Bundeskanzler, dem nur noch die Schlüssel fürs Kanzleramt fehlen.
Ich habe mich in den drei Regierungsparteien umgehört. Das Bild ist ernüchternd: In den Umfragen kämen ÖVP, SPÖ und Neos gemeinsam auf keine stabile Mehrheit. Neuwahlen wären kein Neustart, sondern ein Direktflug in die Dritte Republik: blau, laut und vielleicht dauer-, jedenfalls schauderhaft.
Bei der ÖVP, die den Kanzler stellt, herrscht erstaunlich viel Selbstzufriedenheit für eine Partei im Sinkflug. Man redet sich ein, der Kanzler sei die solide Gegenfigur zum “Volkskanzler” Kickl. Gleichzeitig sitzt der Schock tief: Der Abgang von Wirtschaftskammer- und Wirtschaftsbundpräsident Harald Mahrer hat das schwarze Machtgeflecht ins Wanken gebracht.
Und dann spukt immer noch die Rückkehr von Sebastian Kurz durch die türkisen Köpfe, auch im Hinblick auf die Landtagswahlen 2027, gefüttert mit dem Posting-Dauerfeuer des Ehemaligen, genährt durch eine Reise nach Israel auf dessen Rechnung für österreichische Politikjournalisten. Wahrscheinlicher ist, so denke ich, dass ihn längst Brüssel interessiert – eine Etage unter dem lieben Gott: Nachfolger von der Leyens oder außenpolitischer Oberverwalter irgendwo zwischen Weltfrieden und Selfie-Gipfel. Die Rückkehr in die österreichische Innenpolitik wäre da die Holzklasse.
In der SPÖ sind die Gerüchte bunter, die Lage aber trostloser. Andreas Babler hat der Partei eine Gesinnung zurückgegeben, aber keine Prozentpunkte. Also geistern wieder die Namen der alten Retter umher, allen voran Christian Kern. Der Mann, der einst Werner Faymann im fliegenden Wechsel aus dem Kanzleramt drängte, solle nun Babler ablösen und die Partei retten, die er selbst verlassen hat. Allerdings ist das weniger Strategie als Treppenwitz.
Bleiben die Neos. Offiziell regierungstreu, inoffiziell eine Bruchstelle des Systems. Denn sie sind einerseits die Einzigen, die laut Umfragen bei Neuwahlen nichts verlieren würden. Und sie waren andererseits schon in Runde eins der Dreier-Verhandlungen mit dünner Argumentation ausgeschert. Genau das macht sie gefährlich. Für die Ministerin, den Minister und den Staatssekretär – allen voran Außenministerin und Parteichefin Beate Meinl-Reisinger – ist die Regierung der Aufstieg in die politische Business-Class. Für etliche Nationalräte bleibt sie die Wartehalle, in der man pflichtschuldig die Hand hebt, während man innerlich längst Opposition probt.
Der Fall Veit Dengler illustriert das Dilemma. Dem Neos-Mitgründer wurde die außenpolitische Sprecherfunktion entzogen, nicht nur, aber auch, weil er zu offen sagte, was viele in dieser Regierung denken und keiner aussprechen will: dass ein Nato-Beitritt Österreichs diskutierbar sein müsste. In dieser Partei gärt es heftiger, als die Pressetexte verraten.
Wenn die Neos gehen, bleibt ÖVP und SPÖ im Nationalrat nur eine hauchdünne Ein-Stimmen-Mehrheit – ein Infekt im falschen Lager entfernt vom Sturz. Käme es danach zu Neuwahlen, ist ziemlich sicher: Diese Dreierkonstellation hätte keine Chance mehr auf eine Mehrheit. Der FPÖ-Kanzler wäre unausweichlich.
Deshalb ist nicht die berühmte Politikverdrossenheit die größte Gefahr für diese Regierung, sondern die Ungeduld ihrer kleinsten Partnerin. Wer heute fragt, ob die Regierung hält, sollte präziser fragen: Halten die Neos durch – und wenn ja, wie lange? Die Antwort entscheidet, ob Österreich seine Angst vor Herbert Kickl weiter verwaltet. Oder sich dem Mann übergibt, vor dem es sich fürchtet.