Konservativ statt progressiv
„Zeit für Neues” forderte Sebastian Kurz im Wahlkampf. Nun deutet die Linie der neuen Regierung in die altbekannte Richtung.
Fraglos hat der baldige Kanzler Kurz nach den Regeln der Politikkommunikation weiterhin alles richtig gemacht. Richtiger als viele seiner Vorgänger. Von den Regierungsverhandlungen wurden keine widersprüchlichen Nachrichten publik, der Bundespräsident artig einbezogen. Tolle Haltungsnoten. Doch es geht in der Politik nicht nur um die Form, die Menschen im Land spüren vor allem Inhalte. Und inhaltlich wurde allerorten brav über dieselbe Nebelkerze diskutiert: die absolut jenseitige Rücknahme des Rauchverbots, mit der Heinz-Christian Strache wohlüberlegt Sebastian Kurz in Erklärungsnot bringt. An den Stammtischen meistdiskutiertes Thema. Tatsache ist: die Diskussion ums Rauchverbot vernebelt die Sicht auf weit wichtigere Pläne der neuen Regierung.
Nämlich ob die FPÖ tatsächlich so gut verhandelt haben kann, dass mit Verteidigungsministerium, Innenministerium und dem obskuren Heimatschutzministerium alle Geheimdienste in FPÖ-Verantwortung sind. Oder ob die einst föderalen Grundsätze der ÖVP tatsächlich über Bord geworfen werden, Länderinteressen weit hintangestellt werden, wie es bei den Krankenkassen aussah? Oder wie weit rechts die kommende Regierung im Alltag tatsächlich anzusiedeln sein wird.
Für die ÖVP, diesem Sammelbecken aus gegensätzlichen Strömungen, vor allem eine interne Belastungsprobe. Unternehmer, Bauern, die Reste der Mittelschicht, Föderale – und offenbar immer mehr, die sich dem Zentralismus andienen: sie alle treffen sich bei der Volkspartei und stehen ungewöhnlich geeint hinter ihrem Parteichef, der den Wahlkampf mit Bravour absolvierte. Mit 31 Jahren, das soll ihm einer nachmachen. Doch allmählich wird klar, wie mühsam dieser Sebastian-Kurz-Anbetungs-Modus für Funktionäre in den Ländern ist. Vieles dabei kommt der Neuinterpretation einer altbekannten ÖVP-Taktik gleich: „Hände falten, Gosch’n halten.”
Insbesondere für die Länder ist die neue Einigkeit der Türkisen schwer durchzuhalten. Kein Landeshauptmann saß in den Verhandlungsteams zur Koalition – erst als eine Plünderung der Krankenkassen-Reserven ruchbar wurde, traten auch die Länder ins Bild. Auch bei den mutmaßlichen Ministern (es gilt die Unschuldsvermutung!) gilt: Definitives wird lediglich kolportiert, vom Verhandlungsteam, insbesondere der ÖVP, wurde noch überhaupt nichts bestätigt. Auch nach der Verkündigung der Einigung kurz nach
21 Uhr ist weiter nichts Konkretes bekannt. H.C. Strache und der „liebe Sebastian” waren freundlich zueinander. Dann aus, gute Nacht! Es ist Teil des Erfolgsgeheimnisses von Sebastian Kurz, freundlich-unverbindlich zu bleiben.
Den Namen Wenderegierung scheint die Koalition nicht zu verdienen. Es deutet viel auf eine unspektakulär-rechtskonservative Regierung hin, die ohne viele Quereinsteiger in einem nahezu gleichberechtigten Doppelspiel aus ÖVP und FPÖ die Macht teilt.
Kurz wollte progressiv sein, wollte verändern. Nun führt er eine Regierung an, die das Rauchverbot kippen wird, Schulreformen zurücknimmt. Er muss dieses Wochenende einige Kaninchen aus dem Hut zaubern, um den bisherigen Eindruck zu übertünchen.
Gerold Riedmann
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Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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