Auf dem Weg zum Polizeistaat

Spezial / 04.11.2012 • 22:19 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Von der französischen Nation ließen sich die Amerikaner 1886 zwar die New Yorker Freiheitsstatue schenken, aber den Leitspruch der Französischen Revolution von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ beherzigen die Amerikaner hauptsächlich als Lippenbekenntnis, und nicht unbedingt in der Praxis: Die Vereinigten Staaten sind auch ein Gefängnisstaat mit mehr als drei Millionen Inhaftierten (verhältnismäßig so viele wie in keinem anderen demokratischen Land der Erde), und vom universellen Wahlrecht sind die USA immer noch weit entfernt: 36 der 50 US-Bundesstaaten etablierten gesetzliche Wahlbehinderungen – hauptsächlich gegen Angehörige der traditionell mehrheitlich Demokraten-Kandidaten wählenden Minderheiten.

Bei der Verteidigung der Freiheit leistet sich die Nation ebenfalls Defizite. US-Intellektuelle wie der Philosoph Noam Chomsky wähnen ihr Land auf dem Weg zum Polizeistaat. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 setzte die damalige US-Regierung unter Präsident Bush zahlreiche Einschränkungen der bürgerlichen Grundrechte durch.

Auch mit der Gleichheit halten es viele Amerikaner nicht so genau: Einer Langzeituntersuchung der Harvard-Universität zufolge räumen 55 Prozent aller US-Bürger „rassistische Vorbehalte“ ein. Mit dem Amtsantritt des „afroamerikanischen“ Präsidenten Obama und dem Aufstieg der Vorurteile schürenden ultrarechten „Tea Party“-Bewegung ist dieser Anteil in den vergangenen vier Jahren um 12 Prozent gestiegen.

Insbesondere beim Thema Gleichheit bieten die Präsidentschaftskandidaten Obama und Romney ein Kontrastprogramm: Der Präsident propagiert eine Solidargesellschaft, Romney dagegen tritt für eine Ellbogengesellschaft nach dem Motto an: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.

Dieser „Kampf der Systeme“ manifestiert sich in einer tiefen Spaltung der US-Nation in zwei nahezu gleich große Lager. Die Entscheidung zwischen Obama und Romney ist damit auch eine Grundsatzentscheidung über den künftigen Weg der Nation. Ihr und dem Rest der Welt ist zu wünschen, dass der „bessere“ Kandidat gewinnt: Wie wär’s mit dem Kandidaten, der den Leitspruch der Französischen Revolution beherzigt?

Peter W. Schroeder, Washington

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