US-Mentalität macht es Barack Obama schwer

„Weniger Staat“ lautet die Botschaft von vielen Amerikanern – und Mitt Romney.
Wien. (VN-joh) Seit zehn Jahren ist der gebürtige Dornbirner Hanno Settele ORF-Korrespondent in den USA. Nach den morgigen Wahlen beendet er diese Tätigkeit. Im VN-Gespräch erläutert er, warum die Entscheidung zwischen Präsident Barack Obama und seinem Herausforderer Mitt Romney offen ist. Und was im Falle einer Wahlniederlage von Obama bleibt.
US-Umfragen zufolge liegen Obama und Romney gleichauf. Europäer können das nicht verstehen, sie lieben Obama noch immer. Wie kann man ihnen das erklären?
Settele: Es ist vielleicht allzu großes Wunschdenken dabei. Und eine vollkommen andere Vorstellung von dem, was ein Staat sein soll. Romney will noch weniger Steuern einheben und den gut Verdienenden noch mehr Geld lassen …
… und das ist in den USA mehrheitsfähig?
Settele: Der Gedanke „Wer etwas hat, der soll es auch behalten dürfen“ ist in den USA viel weiter akzeptiert als in Europa. Das hat Obama zu spüren bekommen: Er ist nicht einmal mit der Forderung durchgekommen, Leute mit mehr als 50 Millionen Dollar sollten mehr zahlen. Die Erklärung dafür lautet, dass die meisten Amerikaner hoffen, auch einmal so viel Geld zu haben. Daher wollen sie von solchen Maßnahmen nichts wissen. Außerdem wollen die Amerikaner nicht, dass Washington zu stark ist. Sie sind verliebt in ihren Bundesstaat. Der Föderalismus ist in Amerika um einiges lebendiger als in Österreich. Die Bundesstaaten können sehr viel bewegen, sie haben ihre eigenen Steuergesetze, ihr eigenen Arbeitsgesetze – sie sind sehr viel unabhängiger als unsere Bundesländer.
Der Wirbelsturm „Sandy“ hat doch gezeigt, dass ein starker, übergeordneter Staat notwendig ist.
Settele: Nein. Den Einfluss von „Sandy“ sollte man nicht überschätzen. Die Leute sind verzweifelt und brauchen Hilfe; von wem sie kommt, ist ihnen egal.
Obama ist mit dem Ziel einer großen Gesundheitsreform angetreten, die möglichst vielen Amerikanern zugute kommt, die bisher nicht krankenversichert waren. Von dieser Reform ist zwar nur ein Teil übriggeblieben, kann Obama nun aber gar nicht davon profitieren?
Settele: Null. Das Problem bei der Gesundheitsreform ist, dass sie erst 2014 greift und dass die privaten Krankenversicherer schon drei Jahre lang Zeigt gehabt haben, den Leuten sagen, dass sie das alles bezahlen müssen. Dabei haben sie die Prämien schon in den letzten zehn Jahren um das Drei-, Vierfache hinaufgesetzt. Jetzt machen sie damit weiter und sagen, Obama sei schuld. Er ist ihr Sündenbock. Der Haken bei der Gesundheitsreform ist, dass Obama keine staatliche Krankenversicherung geschaffen hat, sondern dass er das System privaten Krankenversicherungen überlassen hat.
Wie wird die Wahl morgen ausgehen?
Settele: Ich traue mir keine Prognose zu, will mich aber nicht davor drücken: Ich glaube, dass Obama gewinnt.
Sollte der Präsident gegen Romney verlieren: Was bleibt von ihm? Obama ist in der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten gestartet, die Hoffnungen waren gigantisch. Viele sind enttäuscht worden. Hat er total versagt?
Settele: Nein. Was von Obama bleibt, ist die Rettung der Autoindustrie, die Dingfestmachung und Tötung von Osama Bin Laden, das Ende des Krieges im Irak, die Festlegung des Abzugs aus Afghanistan. Außerdem hat er eine Finanzmarktreform durchgebracht, die sich für amerikanische Verhältnisse durchaus sehen lassen kann, auch wenn es nun in der Umsetzung hapert. Auch die Gesundheitsreform wird bleiben. Romney hat zwar angekündigt, sie rückgängig zu machen. Dazu müssen die Republikaner aber erst einmal den Senat gewinnen.
Sein Spielraum ist begrenzt?
Settele: Solange die Republikaner keine Mehrheit im Senat haben, ist er es. Gesetzgeber ist nämlich noch immer der Capitol Hill (Parlament; Anm.).
In Europa befürchtet man im Falle eines Wahlsieges von Romney eine Rückkehr zum kalten Krieg.
Settele: Romney hat sich als Hardliner gegeben, um die eigene Klientel anzusprechen. Aber er ist mit Intelligenz gesegnet und weiß, was er besser lassen sollte. Zuletzt ist er in die Mitte gerückt. Es wäre vermessen zu glauben, dass mit ihm Ostblockzeiten zurückkehren.
Sie verfolgen die letzte Wahl als US-Korrespondent – mit Wehmut?
Settele: Ich bin gerne dabei, komme aber nach zehn Jahren auch gerne wieder heim. Für einen Familienvater, der auch für andere verantwortlich ist (zwei Kinder; Anm.), ist das eine lange Zeit.
Sie werden in Wien in der ORF-Außenpolitik tätig sein. Was waren die Highlights, die Sie in den USA erlebt haben?
Settele: Ich war bei drei Präsidentenwahlen dabei, bei Hurrikan Katrina in New Orleans und beim letzten Space-Shuttle-Start – das sind viele Highlights.
Mit Romney würden keine Ostblockzeiten zurückkehren.
Hanno Settele, US-Korrespondent

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