Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Nach dem Aufprall

Spezial / 24.04.2016 • 23:35 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Ein Wahlergebnis, heftig wie eine in ihrer Stärke unerwartete Kollision.

Es lohnt, nicht an die Systembewahrer von Rot-Schwarz zu appellieren, einmal mehr die Unumgänglichkeit des Aufbruchs, des Nach-Vorne-Denkens einzufordern. Wieso sollten sie sich dieses Mal am Riemen reißen?

Parteiapparate haben ihre Kraft verloren, niemand lässt sich vorschreiben, was er tun oder wen er wählen soll – das zeigt auch das unterdurchschnittliche Ergebnis in der einstigen schwarzen Hochburg Vorarlberg für den Parteikandidaten ganz nett.

Apropos nett: Norbert Hofer, der nette Herr aus dem Burgenland, ist an allen vorbeispaziert. Straches scharfe Parolen eingebettet in Schwiegermutter-Tauglichkeit für die Massen.

Getragen von der Unfähigkeit der Regierungsparteien, die Flüchtlingskrise zu managen. Getragen von der Unfähigkeit der Regierungsparteien, erste positive Konjunktursignale in Aufbruchsstimmung zu verstärken. Getragen von der Unfähigkeit der Regierungsparteien, miteinander zu arbeiten. Wochenlanges, lächerliches Gezänk um Worte und pure Selbstsicherung von angeschlagenen Parteichefs will niemand mehr hören. Jetzt schriftlich. Blau auf Weiß, sozusagen.

Das darf man nicht mit Verdrossenheit verwechseln, das ist ein klares „So nicht!“ der Bürger. Ergebnis: Die Österreich-Landkarte, das Schnitzel, ist blau eingefärbt.

Die Stichwahl ist alles andere als entschieden. Norbert Hofer darf auf Teile des einstigen ÖVP-Lagers hoffen, das jetzt gegebenenfalls bei Griss oder Khol das Kreuzerl machte. Auf der anderen Seite ist völlig unklar, ob die eilig ausgesprochene „persönliche Meinung“ von Bundeskanzler Faymann, dass man jetzt Van der Bellen wählen werde, sich parteiintern durchsetzt.

Allein an dieser Sprachregelung, die gestern Abend noch viele Sozialdemokraten im TV und auch im Livestream der Bundesländerzeitungen wiederholten, wird einerseits klar, wie bemüht die Roten sind, Van der Bellens Erfolg für sich zu vereinnahmen – der war vor Urzeiten ja auch SPÖ-Mitglied. Andererseits wird die Illoyalität offenbar, die in der SPÖ und ÖVP regiert. Hundstorfer und Khol sind Sündenfälle ihrer Parteien.

Gebetsmühlenartig wiederholen Politexperten, dass eine Person an die Staatsspitze gewählt werde, nicht eine Partei. Doch das, was wir gestern in der Hofburg bezeugten, hat es in den vergangenen 70 Jahren nicht gegeben. Das Ergebnis stellt das Parteiensystem auf den Kopf und gleichermaßen stark in Frage. Es kommt eine neue Art, eine neue Ära von Politik auf uns zu, in der wohlorganisierte Parteiapparate keine Rolle mehr spielen. In der auch Quereinsteiger wie Irmgard Griss „Großparteien“ überflügeln können.

Vor dem Ende der Zweiten Republik aber kommt die Stichwahl. Und weil die Parteistrategen von Schwarz und Rot genau wissen, dass sie es sich bei diesem politischen Klima nicht leisten können, auch nur ein Körperteil aus dem Fenster zu strecken, wird es bei den Regierungsparteien so aussehen, als wäre gestern gar nichts passiert.

Dass es beide herb erwischt hat, wird in der gemeinsamen Trauer den Schmerz lindern. Damit steigt allerdings auch die Gefahr, dass es weiter in dieselbe Richtung geht. In den Abgrund.

Die einstmals großen Volksparteien liegen in Trümmern.

Das Ergebnis stellt das Parteiensystem auf den Kopf und gleichermaßen stark in Frage.

gerold.riedmann@vorarlbergernachrichten.at, Twitter: @geroldriedmann, Tel. 05572/501-320

Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.

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