Vorarlberg ist anders
Es ist das eingetreten, was wirklich niemand wollte: Auch am Sonntagabend ließ sich nicht klären, wer künftig Bundespräsident ist. Wie wir tags zuvor bezeugen konnten, sieht der Fußball wenigstens klare Regeln für solche Entscheidungen am selben Abend vor. In der Politik hilft nur warten.
Diese Wahl mit dem unbefriedigenden Fifty-Fifty-Ergebnis lässt das Land gespalten zurück, der Riss verläuft messerscharf – genau dort, wo früher die Mitte war. Stadt – Land. Reich – Arm. Büro – Fabrikshalle.
Für das Amt und den künftigen Präsidenten ohne Frage eine Schwächung: Er hätte nur eine hauchdünne Mehrheit hinter sich. Der künftige Präsident kann sich also nicht so weit hinaus vom Hofburg-Balkon lehnen, wie man das im Wahlkampf allerorten Glauben gemacht hat. Diese Wahl war so oder so eine sehr knappe Partie. Die knappste der Zweiten Republik, um genau zu sein.
Bis auf zwei Ausnahmen weiß FPÖ-Kandidat Norbert Hofer alle Bundesländer hinter sich. Nicht Vorarlberg, nicht die Bundeshauptstadt. Mit 56,4 Prozent wollen die Vorarlberger Alexander Van der Bellen im Amt sehen. Ein Wert, nur getoppt von Wien: 61,2 Prozent. Mehrheitlich ist die Österreichkarte, das Schnitzel, blau eingefärbt. Mit zwei grünen Flecken.
Ländliche Gebiete wählten nahezu ausschließlich überwiegend Hofer, städtische Van der Bellen. Wer nach einem Zeichen suchte, wie urban die Vorarlberger denken: Hier ist es. Zwischen Bregenz und Feldkirch wohnen rund 280.000 Vorarlberger – die große Mehrheit des Bundeslandes. Mit zunehmendem Zusammenwachsen der Städte und Gemeinden im Rheintal wird auch politisch aus dem einstigen Ländle dann doch ein Städtle.
Natürlich sind auch die Wiener und Vorarlberger keine glühenden Fans von Van der Bellen. Vielen ist der kauzig-spröde Wirtschaftsprofessor zu wenig bürgerlich und zu links. Er war für jene, die sonst der ÖVP zugesprochen hätten, vor allem eines: das kleinere Übel. Ergebnis: Weder Grüne noch FPÖ können jubeln – und die Regierenden halten sich bedeckt. Weder Christian Kern noch Reinhold Mitterlehner äußerten sich gestern, niemand will sich den Mund verbrennen. In Vorarlberg hielt sich Landeshauptmann Markus Wallner zum Wahlergebnis ebenso bedeckt.
Für die FPÖ war es jedenfalls eine Schlüsselwahl. Hofer steht für einen neuen Typus FPÖ-Politiker: obwohl rechtspopulistisch, gibt man sich keinesfalls so – sondern betont ganz, ganz normal. Mittig. Der nette Herr aus dem Burgenland mit dem gewinnenden Lächeln hat ein wesentlich größeres Publikum hinter sich versammeln können, als das Jörg Haider oder Heinz Christian Strache jemals auch nur annähernd gelungen ist. Wenn Hofer das knappe Duell auf den letzten Metern doch noch verlieren sollte, hätte die FPÖ ein dramatisches Zauberlehrlings-Problem: Strache als Erfinder Hofers müsste erkennen, dass, wenn schon nicht Bundespräsident, Hofer der bessere Kanzler(kandidat) als er selbst wäre. Erkennt Strache das nicht, werden ihm seine Parteifreunde bestimmt bei der Einsicht helfen.
Egal, ob es am Montagabend Hofer oder Van der Bellen heißt: die Aufgabe für das neue Staatsoberhaupt ist gewaltig. Österreich befindet sich in einer heiklen Phase. Das gespaltene Land nach diesem kontroversen Wahlkampf zu einen, mit den jeweiligen Nicht-Wählern zu einem Minimal-Konsens zu kommen, muss nun oberstes Ziel sein. Während die Bundesregierung zu beweisen hat, dass sie den Stillstand überwinden kann, muss der Präsident Brücken bauen.
gerold.riedmann@vorarlbergernachrichten.at, Twitter: @geroldriedmann, Tel. 05572/501-320
Gerold Riedmann ist Chefredakteur der Vorarlberger Nachrichten.
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