“Längste Friedensperiode Europas”

Der 25. März 1957 ist für Purtscher einer der wichtigsten Tage in Europas Geschichte.
schwarzach. (VN-ram) Das politische Wirken von Alt-Landeshauptmann Martin Purtscher war auch immer mit der EU verbunden. Der 88-Jährige, der in den 90er-Jahren selbst bei den Verhandlungen über Österreichs Beitritt in Brüssel war, sieht das Einigungsprojekt trotz Brexit nicht in Gefahr.
Was bedeutet das Jubiläum für Sie?
purtscher: Der 25. März 1957 ist wohl einer der bedeutendsten Tage in der europäischen Geschichte. Ein Historiker ermittelte, dass in den letzten 500 Jahren auf dem europäischen Kontinent 132 Kriege stattfanden, in den letzten 200 Jahren vor allem zwischen Frankreich und Deutschland. Und nun beschworen die ehemaligen Todfeinde die Friedensgemeinschaft, der wir die längste Friedensperiode Europas verdanken. Der gemeinsame Markt mit den vier Freiheiten hat einen enormen Wohlstand bewirkt. Die durch das Schengener Abkommen erzielte Mobilität ermöglicht zudem freie Fahrt vom Nordkap bis Sizilien.
Sie haben in Brüssel über den EU-Beitritt verhandelt. Welche Erfahrung war besonders prägend?
purtscher: Vor allem die Finalverhandlungen waren für mich das strapaziöseste, aber auch das zutiefst berührendste Erlebnis meines ganzen Berufslebens. Die beiden letzten Februartage erschienen für die vier Beitrittskandidaten Österreich, Schweden, Finnland und Norwegen mehr als ausreichend, daher wurde der 28. Februar 1994 als fixer Endtermin festgelegt. Wir erlebten psychologische Wechselbäder. Die Schweden und Finnen hatten am zweiten Tag abgeschlossen, die Norweger zogen mit Theaterdonner aus, wir konnten erst am dritten Tag – ohne Schlaf und Rasur – den Abschluss fixieren. Theodoros Pangalos, der griechische Außenminister, hieß Österreich auf Altgriechisch willkommen. Und Alois Mock (Anm.: damaliger Außenminister) hielt eine Rede, die für mich das berührendste politische Erlebnis meines Lebens war.
Mit Großbritannien verlässt erstmals ein Land die EU. Was bedeutet das für die Union?
purtscher: Der Ausgang des Brexit-Referendums hat mich tief getroffen. Mit Großbritannien verliert die EU einen der größten und wichtigsten Mitgliedstaaten. Einen Domino-Effekt wird es – davon bin ich überzeugt – aber nicht geben. Die bisher für einen Exit argumentierenden populistischen Bewegungen wurden leiser, seit sich die Auswirkungen zeigen: Pfundabwertung, Tendenz zur Verlegung der Finanzmetropole Londons, die Forderung nach einer neuen schottischen Volksabstimmung, die Sorge um den Verbleib der EU-Bürger im Land.
Wohin muss sich die EU entwickeln, wenn sie Bestand haben soll?
purtscher: Die EU ist nicht nur durch den Brexit, sondern auch durch ein eigenwilliges „Triumvirat“ herausgefordert: Trump, der Europa veranlasst, sich von den USA zu emanzipieren, Erdogan, der ein autokratisches Sultanat anstrebt und dennoch die Türkei in die EU führen will, und Putin, dessen imperiales Streben Probleme bereitet. Die EU muss aber auch interne Fehlentwicklungen korrigieren. Der Unmut vieler Bürger wurde durch viele Verordnungen der EU-Kommission mit meist banalen Entscheidungen unnötig geweckt. Als Österreich beitrat, wetterte ich bereits in der ersten Sitzung im Ausschuss der Regionen gegen den „Horror legislativus“ und forderte, das Subsidiaritäsprinzip unbedingt zu beachten. Es bedarf darüber hinaus auch mehr Leadership in der Zusammenarbeit der Gremien, des Abbaus der Spannungen zwischen Rat, Kommission, den Regierungschefs und dem EU-Parlament. Bei neuen Beitrittskandidaten – Südostbalkanstaaten und die Türkei – wäre zu erörtern, ob dem Drang nach Beitritt zum Binnenmarkt nicht in Form einer „EU-light“ nähergetreten werden kann, indem die Personenfreizügigkeit nicht gewährt wird.
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