Alarmstufe Blau in Brienz

Gesteinsmassen bedrohen Schweizer Dorf: Vorbereitungen für höchste Gefahrenstufe sind angelaufen.
Brienz Die Lage im Schweizer Bergdorf Brienz (Kanton Graubünden) spitzt sich immer weiter zu. Die Verantwortlichen bereiten sich mittlerweile auf die höchste Gefahrenstufe vor. Die sogenannte Phase Blau beginne „mehrere Stunden bis einen Tag vor einem Ereignis, wenn sich abzeichnet, dass ein großer Teil der Insel abbricht“, schrieb die Gemeinde am Dienstag auf Twitter. Am Mittwochvormittag informierten die Behörden bei einer Pressekonferenz in Chur über das Frühwarnsystem, das beim drohenden Felssturz in Brienz zum Einsatz kommt.
Die 84 Einwohner, samt Nutz- und Haustieren, mussten bereits am vergangenen Freitag das Dorf verlassen. Um 18 Uhr trat, früher als gedacht, Alarmstufe Rot in Kraft. Seither darf niemand mehr das Dorf betreten. Phase Rot bedeutet, dass in vier bis 14 Tagen sich die Felsmassen nach Messungen und Modellrechnungen in größerem Umfang lösen und herabdonnern könnten. Ob Geröll und Steine vor dem Dorf liegen bleiben, daran vorbeirutschen oder tatsächlich Kirche und Häuser mitreißen, vermag niemand zu sagen. Insgesamt sind bis zu zwei Millionen Kubikmeter Gestein in Bewegung.
1000 Steinschläge
Fünf Geologen analysieren laufend die Daten, die von den verschiedenen Überwachungssystemen geliefert werden. „In Brienz sind mehrere Radars und hochauflösende Kameras in Betrieb. Diese messen die Geschwindigkeit der Erd- und Felsbewegungen“, erläuterte Andreas Huwiler, Geologe und Projektleiter Naturgefahren beim Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden (AWN), bei der Pressekonferenz in Chur. Das Steinschlagradar, das in diesem Jahr bereits 1000 Steinschläge gezählt hat, ist mit der Verkehrsregelung verknüpft und kann akut gefährdete Verkehrswege unmittelbar sperren. Die sogenannte Insel, der kritische Teils des Berghangs, bewegt sich aktuell 20 Zentimetern am Tag. Stefan Schneider, Leiter des Frühwarndienstes, ging am Mittwoch davon aus, dass sich ein Felsabbruch innerhalb von drei Tagen bis zu mehreren Wochen ereignen kann. Wie die bis zu zwei Millionen Kubikmeter Gestein abbrechen, ist schwer zu prognostizieren. Möglich sind drei Szenarien, wie die Gemeinde vergangene Woche mitteilte.
Am wahrscheinlichsten seien zahlreiche Felsstürze von einigen Tausend bis mehreren Hunderttausend Kubikmetern, was für das Dorf am harmlosesten wäre. Halb so wahrscheinlich ist demnach ein langsames, aber lang andauerndes Abrutschen als Schuttstrom, der Brienz erreichen und beschädigen könnte. Ein großer, schneller und weitreichender Bergsturz mit mehr als 500.000 Kubikmetern und verheerenden Folgen wird als weniger wahrscheinlich angenommen, kann aber nicht ausgeschlossen werden.




Stichwort Brienz/Brinzauls
Brienz/Brinzauls ist eine Ortschaft der 2015 fusionierten Gemeinde Albula/Alvra in der Region Mittelbünden. Das Dorf liegt auf einer Sonnenterrasse an der Verbindungsstraße von Lenzerheide nach Davos auf einer Höhe von rund 1150 Metern. Es hat knapp 100 Einwohner und in der Saison bis zu 200 Urlaubsgäste.
Brienz/Brinzauls ist laut Gemeinde Albula/Alvra seit Menschengedenken in Bewegung. „Die gesamte Terrasse rutscht vermutlich seit der letzten Eiszeit talwärts. In den vergangenen 100 Jahren bewegte sich Brienz/Brinzauls jeweils wenige Zentimeter pro Jahr. In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Rutschung aber stark beschleunigt. Aktuell beträgt die Bewegung rund einen Meter pro Jahr. Seit 140 Jahren bewegen sich auch die Hänge oberhalb des Dorfes. Im Jahr 1877 begann nordöstlich des Dorfes Felsmasse von rund 13 Millionen Kubikmetern talwärts zu rutschen. Da die Rutschung, heute „Igl Rutsch“ genannt, relativ langsam und über mehrere Wochen erfolgte, kamen keine Menschen zu Schaden, wird auf der Homepage berichtet.
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