Nicht immer ist alles genau planbar

Ein Gedankenaustausch der anderen Art zwischen den beiden Teamchefs.
Wien. Markus Geissler war dabei, als sich Marcel Koller und Patrekur Jóhannesson, die beiden erfolgreichen Teamchefs austauschten, und er hat das Gespräch für den neuen ÖFB-Corner aufgezeichnet.
Herr Jóhannesson, Sie haben das ÖHB-Team 2014 zur EM und 2015 zur WM geführt. Welches sind die wichtigsten Dinge, auf die es bei einem Turnier ankommt?
Jóhannesson: Puh, da gibt es viele. Wichtig ist, dass die Mannschaft gut vorbereitet und mit viel Selbstvertrauen anreist. Und der Teamgeist muss passen. Bei so einem Turnier kann alles passieren, das macht es so interessant.
Koller: Ich denke, vieles kommt auf die Situation an. Wenn du ein Spiel verlierst, musst du aufbauen, wenn du gewinnst, musst du eher bremsen. Das kann man vorher nicht planen.
Jóhannesson: Da ist viel Mentales dabei. Fußball und Handball mögen verschiedene Sportarten sein, aber am Ende haben wir es beide mit Menschen zu tun. Du musst wissen, wie du jeden einzelnen in der jeweiligen Situation ansprechen musst. Und was die Spiele angeht: Da kommt ja noch ein Gegner hinzu, der auch seine Überlegungen gemacht hat. Man hat viel Druck, viel Stress.
Koller: Für mich ist wichtig, das zu planen, was planbar ist. Den Gegner zu kennen, zu wissen, wie die Spieler sind. Da möchte ich nicht überrascht werden. Wenn dir plötzlich einer ausflippt oder die Stimmung nicht gut ist, dann muss ich eingreifen. Das weiß ich ja vorher nicht.
Jóhannesson: Im Handball haben wir den Vorteil, dass wir auch während der Spiele eingreifen können. Dann nimmst du ein Timeout, holst die Mannschaft heran, besprichst Dinge.
Koller: Gut ist halt, so wenige Fehler wie möglich zu machen. Ich denke mir aber schon manchmal, dass es gut wäre, die Möglichkeit eines Timeouts zu haben. Oder die fliegenden Wechsel, dass du kurz einen Spieler auf die Bank holst, was besprichst und dann wieder aufs Feld schickst.
Sie haben beide Turniererfahrung als Spieler. Kann man als Trainer davon profitieren?
Koller: Ich sage Nein! Als Spieler bist du nur auf dich und deine Leistung fokussiert, da bekommst du gar nicht mit, was um dich herum alles abgeht. Als Trainer musst du alles im Blick haben.
Jóhannesson: Als Spieler ist es viel einfacher. Ich war bei Olympia, EM und WM. Aber egal, wie viele Turniere du gespielt hast, als Trainer ist es etwas ganz anderes.
Koller (lacht): Aber auch schön!
Island ist das mit Abstand bevölkerungsärmste Land, das je bei einer EURO dabei war. Herr Koller, wie groß ist Ihr Respekt vor dieser Leistung?
Koller: Der ist natürlich riesig! Wir kennen die Isländer ja auch schon, haben 2014 in Innsbruck gegen sie gespielt (Anm. d. Red.: 1:1). Da waren sie auch schon im Aufwind, das haben wir gespürt. Die Isländer waren damals schon gut organisiert, hatten starke Einzelspieler, kämpferisch top. Die sind jetzt auch wieder erfahrener geworden, weniger hektisch. Dazu haben sie ein hervorragendes Trainerteam. Eine Mannschaft, die unangenehm zu bespielen ist.
Haben die Fußballer die Handballer als Nationalhelden abgelöst, Herr Jóhannesson?
Jóhannesson: Nein, die Isländer sind stolz auf all ihre Sportler. Auch auf die Basketballer, die es 2015 zur EM geschafft haben. Was die Fußballer geleistet haben, ist eine Riesensache. Ich sehe auch einige Parallelen zu Österreich.
Und zwar?
Jóhannesson: Wir haben 2011 mit Lars Lagerbäck einen erfahrenen Trainer geholt, der eine klare Linie hat, Struktur und viel Respekt vor den Spielern. So wie Marcel
Koller. Und auch der Teamgeist, diese verschworene Einheit, das ist ganz ähnlich. Beide Teams haben eine ganz starke Qualifikation gespielt und fahren jetzt nach Frankreich, um dort etwas zu erreichen. Man merkt schon, dass die isländischen Spieler viel Selbstvertrauen haben. Früher waren wir glücklich, wenn wir in einem Länderspiel eine Ecke bekommen haben, aber die Zeiten sind vorbei. Wir haben ein paar ganz starke Schlüsselspieler: Finnbogason bei Augsburg, Gylfi bei Tottenham . . .
KOLLER: . . . Bjarnason bei Basel.
Jóhannesson: Genau! Deshalb gibt es auch hohe Erwartungen, genau wie in Österreich.
KOLLER: Sieht man bei euch das Team eher im Halbfinale oder schon im Finale?
Jóhannesson: Also ich glaube fest an ein Finale Österreich gegen Island. Im Ernst: Beide Mannschaften haben das Zeug, die Vorrunde zu überstehen.
KOLLER: Ich sehe im Moment so viele Spiele und muss sagen: Der Fußball ist nicht immer planbar. Nehmen wir unser Spiel gegen die Türkei. Wir haben aus dem Spiel heraus keine einzige Chance zugelassen und verlieren trotzdem 1:2. Wie ist das möglich? Ein Schuss an die Stange geht manchmal noch rein, manchmal raus, das kannst du nicht planen. Aber: Wenn es bei dir gut läuft und du Selbstvertrauen hast, gehen die Bälle öfter ins Tor. Da musst du als Trainer versuchen hinzukommen.
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.