Immer mehr Zündstoff im Fall Werdenigg

Ski-Präsident Peter Schröcksnadel verglich Situation mit der Turiner Dopingaffäre.
Wien Noch wird es wohl eine ganze Weile dauern, bis im Österreichischen Skiverband wieder zur Tagesordnung übergegangen werden kann. So sehr man sich im ÖSV wünscht, dass die Missbrauchsvorwürfe der Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg möglichst schnell widerlegt werden: Eingerichtete Hotlines, Fernsehinterviews und Diskussionssendungen sorgen weiter für Zündstoff in der Causa.
Alle sind an den Pranger gestellt
ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel wehrte sich in einem Interview mit Armin Wolf in der ORF-Nachrichtensendung „ZiB2“ jedenfalls erneut gegen Pauschalvorwürfe. Man habe etwa 250 Trainer und rund 400 Athleten im ÖSV und könne nichts ausschließen. „Aber da sind sehr viele Menschen, die ihren Job ordentlich machen. Und jetzt sind alle an den Pranger gestellt wegen einer Aussage, und das kann ich als Skiverband nicht akzeptieren“, betonte Schröcksnadel und fügte hinzu: „Wir haben keinen Skandal. Da ist eine Aussage da, mehr nicht.“
Der 76-jährige Tiroler verglich die Situation mit jener, als den ÖSV 2006 in Turin ein Dopingskandal erschüttert habe. „Ähnlich hat das damals angefangen mit dem Dopingprozess: Da war eine Aussage: ‚Die Österreicher dopen‘. Es war kein Beweis, es war keine Blutprobe positiv, wir haben sechs Jahre gebraucht, um das klarzustellen. Wir sind in Turin alle freigesprochen worden“, erinnerte Schröcksnadel.
Fakt ist, dass im Juli 2012 im Gerichtsverfahren in Susa er selbst, Sportdirektor Markus Gandler, Ex-Betreuer Walter Mayer, Sportmediziner Peter Baumgartl sowie die Langläufer Martin Tauber und Jürgen Pinter freigesprochen wurden. Ex-ÖSV-Langlauf-Trainer Emil Hoch sowie die beiden Biathleten Wolfgang Perner und Wolfgang Rottmann wurden dagegen in erster Instanz zu bedingten Haft- und unbedingten Geldstrafen verurteilt.
„Das System ist dasselbe: Ich behaupte etwas, beweise es aber nicht, und alle sind angepatzt“, echauffierte sich Schröcksnadel. Der Tiroler ließ keinen Zweifel daran, dass es ihm vor allem um die angeblichen Vorfälle 2005 geht, die in seine Präsidentschaft fallen. „Uns interessiert ja nicht, was vor 50 Jahren war. Wenn die Behauptung aufgestellt wird, 2005 wäre was gewesen und alle hätten das gewusst, dann verstehe ich nicht, warum Frau Werdenigg dazu nicht steht.“
Schröcksnadel untermauerte auch, dass man mit Petra Kronberger eine Frauen-Beauftragte habe. Die in Zürich lebende Exrennläuferin war zuvor im ORF-Magazin „Thema“ zu Wort gekommen. In ihrer Funktionsperiode (seit November 2015) habe sich keine einzige Sportlerin wegen sexueller Übergriffe an sie gewendet: „Mir ist ganz wichtig, dass differenziert wird und dass man die Geschichte von Frau Werdenigg als ihre Geschichte sieht. Und die Geschichte ihrer Kollegin, die sich nicht öffentlich zeigen will, als ihre Geschichte, der man Glauben schenken soll – also ich schenke ihnen Glauben.“Kronberger fügte hinzu: „Aber es gibt, das ist meine Meinung, ohne dass ich in der Zeit damals gelebt habe, genügend positive Geschichten, wo das nicht vorgekommen ist.“ Kronberger habe Schröcksnadel vor ihrer Bestellung befragt, was ihre Aufgabe sei. „Das hat mich sehr berührt. Er hat gesagt: ‚mehr Menschlichkeit‘.“ Jedenfalls betonte Schröcksnadel: „Wir sind relativ sicher, dass wir nicht der Verband sind, als der wir da hingestellt werden.“
Diskussion über den ÖSV hinaus
Laut ÖSV-Sportchef Hans Pum, der sich zu dem Thema in der Puls 4-Sendung „Pro und Contra“ äußerte, seien im vergangenen Jahr aber immerhin schon 36 Prozent Frauen in der Trainerausbildung dabei gewesen. „Im Spitzenbereich ist es für Frauen sehr schwierig. Wir sind ja 150 bis 200 Tage unterwegs, das lässt sich mit einer Familie überhaupt nicht mehr vereinbaren. Uns wäre es recht, wenn wir viele Frauen dabei hätten.“
Nicola Werdenigg, die sich sowohl im ORF als auch in „Pro & Contra“ äußerte, scheint aber mit ihrem Outing eines gelungen zu sein: Eine weit über den ÖSV hinausgehende Diskussion über diese unangenehmen Themen. „Ich wünsche mir ganz fest, dass jetzt im Sportumfeld das Thema Machtmissbrauch, sexualisierte Gewalt enttabuisiert wird“, sagte Werdenigg in „Thema“. Der Sport sei gesellschaftspolitisch eine so wichtige Komponente für alle Bereiche des Lebens. „Mit dem Sport wird die Reinheit und die Untadeligkeit verbunden. Ich glaube, es ist auch für den Sport total wichtig, dass der Deckmantel des Schweigens wegfällt.“
„Ich wünsche mir, das jetzt im Sportumfeld das Thema sexuelle Gewalt enttabuisiert wird.“