Matthias Brändle: Mein Giro d’Italia 2020

Teil 1: Der etwas andere Giro
Ich freue mich, wieder persönlich vom Giro berichten zu dürfen. Also wirklich viel hat sich während der Etappen ja nicht verändert. Klar, die Zuschauer am Straßenrand tragen Masken, dazu die vielen Covid-Tests vor dem Rennen, das Leben in der Bubble, aber zumindest während der Etappen herrscht ein Gefühl von Normalität. Zumindest solange, bis wir eventuell den Schnee am Stelvio Ende Oktober erreichen.
Zurück zum Prolog vom Samstag. Dieser war wirklich eine wilde Angelegenheit. Jede Menge Windböen, eine Abfahrt mit über 100km/h und dann noch die vielen Schlaglöcher auf dem Weg Richtung Ziel in Palermo. Ein bisschen Risiko musste wohl jeder Fahrer nehmen, wenn er vorne sein wollte. Mit meinen 80 kg war es natürlich Luxus, denn da wird man nicht so einfach von der Straße geblasen.
Auch wenn es resultatmäßig kein Topergebnis war, mit meiner Fahrt war ich dennoch sehr zufrieden. Es fehlt momentan leider ein wirklich schnelles Zeitfahrrad, um mit den Besten der Welt konkurrieren zu können. Und: Sollte sich jemand wundern, warum unser Team bei den Bergetappen im Grupetto (abgehängte Gruppe) zu finden ist, dem sei gesagt: Es liegt daran, dass wir unser Team speziell für die Sprintetappen aufgestellt haben und uns in den Bergetappen so gut wie möglich schonen. Unser Ziel ist es, eine Sprintetappe zu gewinnen und zu zeigen, dass wir über einen der stärksten Sprintzüge der Welt verfügen. Heute bietet sich hoffentlich die erste Gelegenheit. Läuft alles nach Plan, dann sollten wir rund zehn Kilometer vor dem Ziel an der Spitze des Rennes zu sehen sein.
Gestern hat es leider einen der großen Gesamtfavoriten, Geraint Thomas, in der neutralisierten Phase ziemlich heftig auf den Asphalt geknallt. Eine am Boden liegende Flasche, welche er übersah, wurde ihm zum Verhängnis. Er konnte die Etappe zwar beenden, mit dem Zeitrückstand hat er den Kampf ums Maglia Rosa wohl schon vor den richtigen Bergen verloren.
Eine kleine Anekdote zum Thema Sizilien und was man so alles brauchen kann. Als kleiner Luxus wird uns die Wäsche ja täglich im Bus gewaschen. Aber als der Masseur die sauberen Wäschesäcke aus der Maschine holen wollte, waren sie weg. Bleibt die Frage, wer jetzt wohl damit rumfährt. Dabei gab es definitiv wertvollere Sachen zum Mitnehmen als ein paar gebrauchte Radklamotten.
Zur Person: Matthias Brändle (30) ist Radprofi, ehemaliger Stunden-Weltrekordler und fährt für das israelische Radteam Israel Cycling Academy.