Das faszinierende Duell der Superstars
Der „Greatest of All Time“ gegen den „Next One“.
Schwarzach So komisch es sein mag zu Beginn eines Artikels über American Football einen Eishockey-Vergleich zu formulieren, so treffend ist dieser im aktuellen Fall. Im Eishockey ist Wayne Gretzky der unumstritten beste Spieler, der jemals Schlittschuhe geschnürt hat. Er wurde bereits während aber vor allem nach der Karriere als „The Great One“ (Der Großartige, Anm.) bezeichnet. Als sich ein junger Kanadier namens Sidney Crosby in den Junioren mit unfassbaren Leistungen anschickte auch in der NHL für Furore zu sorgen wurde er als „The Next One“ (sinngemäß: der nächste Großartige) tituliert. Drei Stanley-Cup-Siege später ist Crosby diesen Vorschusslorbeeren durchaus gerecht geworden.
So ähnlich wie im genannten Beispiel verhält es sich im 55. Endspiel der National Football League (NFL). Der unangefochten größte Quarterback aller Zeiten – Tom Brady – und die Tampa Bay Buccaneers duellieren sich in der Nacht auf Montag (0.30 Uhr MEZ) mit dem amtierenden Champion Kansas City Chiefs rund um Patrick Mahomes, dem nächsten Spielmacher, der die Liga auf Jahre hinaus dominieren dürfte.
Das spricht für Tampa Bay
Die Buccaneers, benannt nach Piraten, die im 17. und 18. Jahrhundert den Golf von Mexiko unsicher machten, fristeten lange Jahre ein Dasein als DAS Loser-Team der NFL. Eine Rekordserie an Niederlagen nach Gründung des Teams, eine Rekordserie an Spielzeiten mit mehr Niederlagen als Siegen in und der bis heuer zweitlängsten aktiven Serie ohne Play-off-Qualifkation im Vergleich zu allen anderen 31 NFL-Teams ist nur eine lose Auswahl an Unzulänglichkeiten in der Geschichte Tampa Bays. Nicht einmal der Sieg im Endspiel 2003 konnte das Verlierer-Image endgültig aus den Köpfen der NFL-Fans verbannen.
Auftritt: Tom Brady
Der sechsfache Super Bowl-Champ stand im Frühling erstmals in seiner Karriere vor der Entscheidung sich ein Team aussuchen zu dürfen. Nach 20 höchst erfolgreichen Jahren in New England suchte der 43-Jährige noch einmal eine neue Herausforderung. Vom Potential (gute Passfänger, solide Defense, arrivierter Head Coach) waren die „Bucs“ der aussichtsreichste Kandidat, um Brady erneut ins Endspiel zu bringen. Umgekehrt war Brady der „Missing Link“ (sinngemäß: das fehlende Bindeglied) für Tampa Bay.
Denn wenn einer weiß, wie man auf der größten Bühne, die der American-Football-Sport zu bieten hat, besteht, dann Brady. Sechs seiner neun Finalteilnahmen hat er gewonnen, unfassbare 33 seiner 44 Play-off-Spiele (kein anderer Spieler der NFL-Geschichte hat mehr als sechzehn Siege in den NFL-Play-offs). Mit Bradys Erfahrung und einer Top-Ten-Defense könnte in der Heim-Super-Bowl erneut der große Wurf gelingen.
Das spricht für Kansas City
Gegründet als Dallas Texas im Jahre 1960 ist die Franchise nach Umzug und Umbenennung seit 1962 in Kansas City zu Hause. Nach dem Endspielsieg in Super Bowl 3 musste das Team allerdings ein sattes halbes Jahrhundert darben bis man die nächsten Vince-Lombardi-Trophy gewinnen konnte. Die Hauptgründe für den Super-Bowl-Sieg im letzten Jahr haben zwei Namen: Andy Reid, der wohl innovativste Offensiv-Coach der letzten eineinhalb Dekaden und Patrick Mahomes. Letztgenannter ist drauf und dran modernes Quarterback-Spiel neu zu definieren. Seine Übersicht, seine Wurfkraft, seine Fähigkeit unter Druck immer und immer wieder die richtigen Entscheidungen zu treffen sind Ligaspitze.
Mit Wide Receiver Tyreek Hill und Tight Ende Travis Kelce verfügt er zudem über zwei der besten ihrer jeweiligen Zunft bzw. zwei der besten Passfänger der gesamten NFL. Hill, ein Ex-Sprinter, der die 200 Meter in 20,14 Sekunden läuft, und Kelce – ein Bulldozer im Körper eines Basketballers – sind für gegnerische Verteidigungen wie Pest & Cholera. Wenn Hill einen nicht mit seiner Explosivität (über-)fordert, dann ist es Kelce, der als Catch-Maschine die Gegner in den Wahnsinn treibt.
Hier sehe ich auch das Schlüssel-Matchup von Super Bowl 55. Schafft es Tampa Bay Hill und Kelce im Zaum zu halten, dann bleibt die Lombardi Trophy in Florida. Wenn nicht, dann holen die Chiefs ihren zweiten Titel in Serie.
Mein Tipp: ein knapper Sieg der Kansas City Chiefs.
Martin Pfanner ist selbstständiger Journalist, TV-Kommentator und Produzent. Er arbeitet u.a. für PULS 24, den Schweizer Sportsender MySports und das Streaming-Portal DAZN. American Football und Eishockey sind seine großen Passionen.