Euphorie in überschaubarer Dosis

200 Fans zitterten in der Widnauer Habsburg mit ihrer „Nati“. Am Ende hatten sie einen Helden.
Widnau Wie bitter, wie unnötig, wie schade! Als gegen 20.45 Uhr der Spanier Oyarzabal den entscheidenden Elfer zum Halbfinaleinzug seiner Furia Roja versenkte, gingen die Häupter der Schweizer Fans in der Habsburg nach unten. Es hat nicht sein sollen.
Dabei hat einer trotz Niederlage seinen Heldenstatus bereits erklommen: Yan Sommer. Der Schweizer Keeper sorgt mit seinen Paraden bei den Landsleuten für tosenden Applaus. „Yan Sommer, Fußballgott“ schreit der exaltierte Kommentator Sascha Ruefer nicht umsonst ins Mikrofon.
Die Freundinnen
Auf nicht weniger als sechs Fernsehschirmen verfolgen die Wirtshausgäste den Viertelfinalkrimi, die Tische mit freier Sicht auf die TV-Geräte waren schon Tage vorher ausverkauft. Freundschaftlich vereint sitzen auch die Spanierin Sonja und ihre Schweizer Freundin Patrizia an ihrem reservierten Tisch. „Den habe ich sofort nach unserem Sieg gegen Frankreich reserviert“, verrät Patrizia. Während sie ein Schweizer Trikot trägt, ist Sonja eingewickelt in eine Spanien-Fahne „Das hältst du ja kaum aus“, klagt Sonja unmittelbar nach dem Schlusspfiff. „Ich kann mich noch gar nicht richtig freuen, so aufregend war das.“ Freundin Patrizia versuchte ihre Trauer mit einem Bekenntnis von Zuwendung zu übertünchen. „Wir bleiben beste Freundinnen“, sagt sie fast trotzig. Dass ihr die Schweizer Niederlage weh tut, kann sie dennoch nicht verbergen.
Als es endlich brodelt
Aus dem benachbarten Lustenau haben sich Barbara Spiegel und Udo Auer in die Habsburg verfügt. „Hier ist einfach was los. Bei uns gibt es nichts in dieser Art“, ist Udo überzeugt. Er arbeitet im St. Galler Hotel Oberwaid. „Das ist jenes Hotel, in dem die Schweizer Nati immer gastiert, wenn sie in St. Gallen spielt“, erklärt Auer nicht ohne Stolz. Während des Spiels wundert er sich, warum die Emotionen lange Zeit sehr gedämpft sind. „Stell dir vor, Österreich wäre in einem EM-Viertelfinale. Wir wären dann wohl viel verrückter.“ Tatsächlich braucht die Begeisterung eine längere Anglühphase. Erst als das Spiel in die Verlängerung geht, fängt es im Volk richtig an zu brodeln. Die heroische Verteidigungsschlacht von Akanji und Co. öffnet Herzen und Münder. Das Hitchcock-Finale erzeugt bei den vermeintlich spröden Ostschweizern endlich etwas, das südländischer Euphorie zumindest nahekommt. Drei verschossene Elfmeter hintereinander lassen den Sturm schnell abebben. Der Abend ist schön. Viel zu schön, um sich nur zu ärgern. VN-HK


