Nachruf: Ein letztes Mal mit Flügeln

Markt / 23.10.2022 • 18:30 Uhr / 9 Minuten Lesezeit
Dietrich "Didi" Mateschitz verstarb im Alter von 78 Jahren.<span class="copyright"> GEPA pictures/ Irmgard Daempfer</span>
Dietrich "Didi" Mateschitz verstarb im Alter von 78 Jahren. GEPA pictures/ Irmgard Daempfer

Für den Multiunternehmer und Sportsfreund Dietrich Mateschitz war der gemeinsame Nenner das Marketing.

Langjähriger VN-Mitarbeiter und Formel-1-Berichterstatter Gerhard Kuntschik zum Ableben von Dieter Mateschitz (+78) .

Salzburg Es war ein schöner Sommertag vor 35 Jahren, als ein (damaliger) Jungunternehmer namens Dietrich Mateschitz seinen ersten (und fast auch seinen letzten) Medienauftritt in einem Salzburger Vorstadt-Wirtshaus hatte.

Der Eishockey-Bundesligist Salzburger EC lud am 28. August 1987 zur Saisoneröffnungs-Pressekonferenz in den Lieferinger Hartlwirt. Die Clubführung präsentierte neben der Mannschaft mit den Sowjetstars Viktor Schalimow und Sergej Kapustin auch den neuen Sponsor: „Herrn Mateschitz von der Firma Red Bull.“ Der war tatsächlich persönlich anwesend, stellte seine Firma – die damals niemand kannte –, sein Produkt – kein Mensch wusste mit dem Begriff „Energy Drink“ etwas anzufangen – und sich selbst vor. Die Handvoll Journalisten in dieser kleinen Runde konnte nicht abschätzen, wen sie da eben kennengelernt hatten – und was dieser Herr noch bewegen würde. Mateschitz selbst bestätigte viele Jahre später seine Loyalität zu „seiner“ ersten Sportart: „Dem Eishockey gehört mein Herzblut.“

Bis heute. In Salzburg. In München. Und wieder in Liefering, diesmal nicht im Wirtshaus, sondern in der Nachwuchsakademie für Eishackler und Kicker, die weltweit schon Beachtung fand.

Mateschitz 2016 beim Österreich-GP. <span class="copyright">GEPA pictures/ Christian Walgram</span>
Mateschitz 2016 beim Österreich-GP. GEPA pictures/ Christian Walgram

Sein Markenzeichen waren Unternehmergeist, Risikofreudigkeit, Marketingexpertise (die hat er ja schon im Studium auf der „Welthandel“ kennengelernt), Innovation und ein Hang zum Extremen. Vom Start-up-Unternehmer zum Multimilliardär, wurde in vielen Porträts über ihn geschrieben. Doch Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz entwickelte sich nicht nur zum erfolgreichen Multiunternehmer und größten Sportförderer in Österreich (und vielleicht in einigen anderen Ländern), sondern auch zu einer Persönlichkeit des nicht-öffentlichen Lebens. Marotte oder gezielte Strategie, wer weiß es schon, warum sich Mateschitz als persönliches Credo den Auftritt vor TV-Kameras versagte. „Die Marke ist wichtig, ich bin es nicht“, erklärte er mehr als einmal.

Die Liste abgelehnter (TV-)Interviews ist so lang wie die Medienlandschaft. Für Print machte er seltene Ausnahmen. Und einmal, ein einziges Mal, ließ er sich „überrumpeln“, was der Euphorie des Augenblicks geschuldet war. Am 14. November 2010 hatte eben Sebastian Vettel in einem verrückten Finale gegen Red-Bull-Kollegen Mark Webber und Ferrari-Star Fernando Alonso seinen ersten Formel-1-Titel auf dem Yas Marina Circuit von Abu Dhabi gewonnen. Mateschitz, ausnahmsweise zu einem Rennen außerhalb Europas angereist (sonst kam er nur nach Barcelona, Monza, einmal Sotschi und Spielberg), war so begeistert, dass er seine Emotionen über Vettels und Red Bulls bis dahin größten Erfolg vor den ORF- und Sky-Kameras auslebte, Wortspenden inklusive.

Ein einmaliger „Ausrutscher“.

Immerhin stand Mateschitz der heimischen Sportjournalisten-Vereinigung (SMA) zwei Mal zu Diskussionsrunden zur Verfügung. Die jeweils weit länger dauerten als die vorher vereinbarte Zeit.

2010 mit Vettel in Abu Dhabi. <span class="copyright">GEPA pictures/ xpb.cc/ Batchelor</span>
2010 mit Vettel in Abu Dhabi. GEPA pictures/ xpb.cc/ Batchelor

Dietrich Mateschitz wurde als Gründer (1984, nach dem Ausstieg als Handelsvertreter für Kaffee und Zahnpasta), Miteigentümer (51 Prozent hält die thailändische Familie Yoovidhya) und Alleingeschäftsführer der Firma Red Bull eine international anerkannte Unternehmerpersönlichkeit und Österreichs Nummer eins in der alljährlichen „Forbes“-Rich-List – ein Faktum, das er überhaupt nicht erwähnt haben wollte und dessen Aussagekraft ihm immer zuwider war. Forbes taxierte ihn für 2021 mit 27 Mrd. US-Dollar.

Früh wurde seine Persönlichkeit von Erzählungen und Legenden geprägt, weil er sich eben so öffentlichkeitsscheu gab. Als er mit wenigen Begleitern vor Weihnachten 2004 erstmals die Fabrik von Jaguar Racing, das er einige Wochen zuvor zu Red Bull Racing gemacht hatte, besuchte, wurde der neue Big Boss vielen Mitarbeitern vorgestellt. Die ältere Dame in der Rezeption bekam leuchtende Augen, als der damalige Teamchef Tony Purnell Mateschitz vorstellte: „Jesus Christ, you are real?!“, staunte die Dame.

Mateschitz erkannte früh den Werbewert von Sportlern, vor allem der „wilden Hunde“. So war neben Eishockey sein erstes Testimonial der eben zu Ferrari gewechselte F1-Jungstar Gerhard Berger. Der Kreis der Red-Bull-Sportler wuchs und wuchs (auf heute an die 5000 global), Schwerpunkt: Extremsportarten. Das reichte später bis zu Basejumper Felix Baumgartner, dem ein Sprung aus dem Weltall finanziert wurde – und der dem eben aufgebauten eigenen TV-Kanal ServusTV die erste Megaquote bescherte.

GP von Monza: Bild zeigt den damaligen Jubel von Teamchef Franz Tost (Scuderia Toro Rosso), Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz und Sebastian Vettel in der Red Bull Energy Station.  <span class="copyright">GEPA pictures/ Franz Pammer</span>
GP von Monza: Bild zeigt den damaligen Jubel von Teamchef Franz Tost (Scuderia Toro Rosso), Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz und Sebastian Vettel in der Red Bull Energy Station. GEPA pictures/ Franz Pammer

Der Siegeszug der blau-silbernen Dose gerade bei jungen Konsumenten gab ihm recht. In deutschen Medien wird er oft mit viel Abschätzigkeit (Neid?) „Brausefabrikant“ tituliert. Die Art, wie der Konzern Red Bull mittlerweile in der Sportwelt auftritt, ist zwiespältig wegen des Anspruchs, überall führend zu sein. Von kritiklosem Applaus bis zu protestierendem Aktionismus reicht das Reaktionsspektrum, aus einem Grund: Wenn Red Bull = Dietrich Mateschitz etwas anpackt, dann gründlich. Mit Zielstrebigkeit zum Erfolg. Kontrovers wurde bis heute vor allem sein Engagement im Fußball gesehen, weil das Jetzt viel, die Zukunft mehr und die Historie nichts zählte.

Fußball war für den am 20. Mai 1944 in St. Marein im Mürztal geborenen Steirer, der früh nach Salzburg übersiedelte, lang ein Tabuthema. Mehrere Versuche von „Westbahn-Rudi“ Quehenberger, dem Geschäftspartner (Quehenbergers Spedition war Logistikpartner von Red Bull) seine marode Austria Salzburg einzuverleiben, waren erfolglos. Ehe im Winter 2004/05 Mateschitz unter Mithilfe von Franz Beckenbauer schnell umzudenken begann. Es war bezeichnend für die traditionell holprige Öffentlichkeitsarbeit von Red Bull, dass die Medien am 5. April 2005 nach 20 Uhr per zweizeiliger Fax-Meldung von der Übernahme der Austria durch Red Bull informiert wurden. Groß waren ab sofort die Ziele, die Champions League war jahrelang schon in der Qualifikation vorbei. Und es wurde massiv expandiert: Leipzig, New York, Brasilien, Ghana.

Dabei wurde Mateschitz auch vom Wunsch geprägt, Visionen anzudenken und auszuführen. Nicht nur im Sport, auch mit Förderung der steirischen Heimat, mit Schaffung eines Bauwerks, das mittlerweile ein Salzburger Wahrzeichen und Touristenmagnet ist, sondern auch im Mediengeschäft. Denn als gäbe es mit dem Core Business und allen Sportaktivitäten nicht genug zu tun, wurde Mateschitz auch noch Medienmanager. Print, Digital, TV. Die mediale Dose zum Lesen, Schauen, Hören, Mitagieren. Klar: Auf besonderem Niveau und mit Konsequenz, die in der politischen Berichterstattung zuletzt „gegen den Strom“ ankämpfte. Und ohne Betriebsrat, dieser einmalige Versuch verleitete ihn zu einer Massenkündigung, die er tags darauf zurücknahm.

Ein Augenblick der Vernunft statt Emotion.

Das Delegieren war nach einer großen Enttäuschung beim Versuch, eine „rechte Hand“ einzusetzen, so gar nicht seins. Was bei ihm am meisten zählte: neben Einsatz vor allem Loyalität. Wer beides zeigte, war „auf ewig“ versorgt. Wer nicht, hatte die Gunst von „Didi“ verspielt.

Red Bull-Chef Dietrich Mateschitz am Montag, 15. November 2010 anlässlich eines Empfanges im Hangar-7 in Salzburg. <span class="copyright">APA/Barbara Gindl</span>
Red Bull-Chef Dietrich Mateschitz am Montag, 15. November 2010 anlässlich eines Empfanges im Hangar-7 in Salzburg. APA/Barbara Gindl

Mateschitz hatte auch eine Passion fürs Fliegen. Die Flying Bulls betreuen in Salzburg eine außergewöhnliche Sammlung historischer Flugzeuge. Zu Dienstreisen flog der Chef oft selbst als „First Officer“ im Cockpit seiner Falcon.

Viel weniger beachtet als seine Aktivitäten im Sport und in der Medienbranche waren seine karitativen Bestrebungen. Für „Wings for Life“, der auch in Salzburg beheimateten Stiftung zur Unterstützung der Rückenmarksforschung, für die medizinische Privatuniversität Paracelsus und manchmal für Menschen in Not da draußen flossen Millionen.

Die für Mateschitz nicht Marketing, sondern Bedürfnis waren.