“Ich bin nicht umgestiegen, weil ich schlecht war”

Sport / 15.12.2022 • 17:45 Uhr / 9 Minuten Lesezeit
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Der Dornbirner Mathias Graf feierte im Skicross-Weltcup einen Einstand nach Maß. Der Weg des 26-Jährigen war wellig.

Val Thorens 126 Nachrichten poppten auf dem Handy von Mathias Graf auf, als er nach seinem ersten Weltcupsieg in Val Thorens (Frankreich) zum ersten Mal auf sein Mobiltelefon blickte.

Führung im Skicross-Weltcup

Der Dornbirner ist nach seinen ersten drei Weltcupbewerben bereits Teil der Weltspitze und führt im Skicross-Weltcup vor seinem Teamkollegen Johannes Rohrweck. „Das klingt saugut. Eine coole Sache“, freut sich Graf, der erst im Sommer 2021 den Umstieg von den Alpinen zu den Crossern wagte.

Mathias Graf jubelte über seinen ersten Weltcupsieg. <span class="copyright">Gepa</span>
Mathias Graf jubelte über seinen ersten Weltcupsieg. Gepa
Der Dornbirner hatte sich im Achtelfinale vom vierten Rang nach vorne gekämpft. <span class="copyright">Gepa</span>
Der Dornbirner hatte sich im Achtelfinale vom vierten Rang nach vorne gekämpft. Gepa
<p class="caption">Beim Zielsprung hatte Graf sogar Zeit, eine Grätsche zu machen. <span class="media-container dcx_media_rtab" data-dcx_media_config="{}" data-dcx_media_type="rtab"> </span><span class="marker"><span class="copyright">Gepa</span></span></p>

Beim Zielsprung hatte Graf sogar Zeit, eine Grätsche zu machen.  Gepa

Mathias Graf im Interview. <span class="copyright">Roland Paulitsch</span>
Mathias Graf im Interview. Roland Paulitsch

Graf hatte zuvor eine durchwachsene Saison 2020/21 im Europacup erlebt. Diese Ergebnisse beunruhigten ihn allerdings wenig, weil sein Materialumstieg auf Skier der Marke Kästle Zeit und Erfahrung brauchen würde. Doch der Verband war ungeduldig und wollte ihm diese Zeit nicht geben. „Ich habe die Alpinen nicht verlassen, weil ich zu schlecht war. Ich habe gewechselt, weil ich mit den ÖSV-Trainern nicht zurechtgekommen bin. Mein Material hat noch nicht nach Wunsch funktioniert und die Trainer haben mir keine Zeit gegeben, die richtige Abstimmung zu finden.” Im Frühjahr 2021 musste Graf deshalb eine Entscheidung treffen. Sein Bruder Bernhard, der 2014 ins Lager der Skicrosser gewechselt war, machte Werbung für den “neuen” Sport und empfahl ihm die Teilnahme an einem Sichtungstag auf der Reiteralm.

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Eine andere Kultur

Gegen den Willen des Vaters – “er war immer ein eingefleischter Alpiner” – stürzte sich Graf erstmals einen Skicross Parcours hinab. Der langjährige Alpin-Weltcupfahrer fand schnell Gefallen am neuen Bewerb und entschied sich zum Umstieg. “Wenn ich etwas angehe, dann mit allem, was ich habe”, beschrieb der Dornbirner sein neues Vorhaben. Bei den Skicrossern fand er für ihn perfekte Bedingungen vor: “Ich habe den Trainern vieles zu verdanken. In keiner Gruppe der Alpinen hatte ich so eine gute Zusammenarbeit erlebt wie bei den Skicrossern.” Sein Trainer Marzellus Renn, nur drei Monate älter als sein Schützling, half Graf dabei, jene Gelassenheit zu entwickeln, die er für den Sport brauchte und die ihm während seiner alpinen Karriere meist gefehlt hatte. Ohnehin sei die Kultur des Cross-Weltcupzirkus eine völlig andere als jene der Alpinen. Bei allem Ehrgeiz, der die Sportler antreibt, ist der Zusammenhalt deutlich größer als im Lager der Traditionalisten.

Dabei könnten sich die beiden unterschiedlichen Diziplinen gegenseitig befruchten. Denn viele Fähigkeiten, welche die Skicrosser benötigen, kämen auch den Alpinen zugute. “Es gibt aber nur wenige Alpine, die hin und wieder auf den Skicross-Kursen trainieren. Das sind unter anderem Marco Odermatt und Vincent Kriechmayr”, weiß Graf. Nicht zufällig belegte gerade dieses Duo am Donnerstag die ersten beiden Plätze bei der Abfahrt in Gröden. Die Wellen der “Ciaslat-Wiese” ähneln den Elementen eines Skicross-Kurses. “Bei uns wird das meist belächelt, andere Länder sind da deutlich weiter. Dabei würde Skicross vielen helfen”, erzählt der Sieger von Val Thorens.

Marco Odermatt (l. ) und Vincent Kriechmayr (Mitte) trainieren regelmäßig auf Skicross-Pisten. <span class="copyright">Gepa</span>
Marco Odermatt (l. ) und Vincent Kriechmayr (Mitte) trainieren regelmäßig auf Skicross-Pisten. Gepa

Bruder Bernhard baut den Kurs

Dazu funktionierte der Kästle-Ski des Dornbirners auf Anhieb perfekt. Aus dem anfänglichen Ziel im Europacup “eine Runde weiterzukommen” entwickelte sich eine Saison, in welcher der inzwischen 27-Jährige acht seiner zwölf Rennen gewann und in der Gesamtwertung einen Start-Ziel-Sieg einfuhr, der ihm den Fixplatz im Weltcup garantierte. Dennoch machte im Sommer die Nachricht die Runde, dass der amtierende Europacupsieger seine Karriere mit sofortiger Wirkung beende. Nach einer verweigerten Aufnahme als Polizeisportler wusste Graf nicht, wie er die Saison finanzieren solle. “Für mich war der Rücktritt 100-prozentig fix.” Erst das Angebot eines Bekannten, der ihn als Kopfsponsor unterstützt, machte die Fortsetzung der Karriere möglich.

Trotz seiner Erfolge würde sich Graf als “Newbie” (Anfänger) im Skicross bezeichnen. “Oft muss ich meine Teamkollegen fragen, wie Passagen gefahren gehören, weil ich die Strecken nicht kenne.” Einer, den er auch um Rat fragen kann, ist sein Bruder Bernhard. Der hat nicht nur dieselbe Erfahrung mit dem Umstieg vom alpinen Europacupfahrer zu den Skicrossern – allerdings deutlich erfolgloser – gemacht, sondern ist als Pistenbauer immer noch Teil der Szene. “Als wir noch beide aktiv waren, haben wir uns weniger ausgetauscht. Aber inzwischen schicke ich ihm viele Videos, vor allem vom Start. Denn er hat ein sehr gutes Auge und kann mir bei einigen Linien helfen.”

Nach seinem Europacupsieg wurde Graf in der Heimat empfangen.<span class="copyright"> Purin</span>
Nach seinem Europacupsieg wurde Graf in der Heimat empfangen. Purin
Die Familie freute sich mit Mathias Graf. <span class="copyright">Purin</span><span class="copyright"></span>
Die Familie freute sich mit Mathias Graf. Purin
Bernhard Graf war 2017 im Montafon gestartet. <span class="copyright">Gepa</span>
Bernhard Graf war 2017 im Montafon gestartet. Gepa
Einer der ersten Vorarlberger beim Skicross: Bernhard Graf. <span class="copyright">Oliver Lerch</span>
Einer der ersten Vorarlberger beim Skicross: Bernhard Graf. Oliver Lerch

In der Dunkelheit des Bödeles

Der Start ist ohnehin ein gutes Stichwort. Während sich “Umsteiger” ins Lager der Skicrosser traditionell schwertun, um in der Startbox mit den Spezialisten mithalten zu können, waren die schnellen Starts von Graf die Basis seines bisherigen Erfolgs. Im Vorjahr hatten die Vorarlberger Skicrosser die Möglichkeit, auf dem Bödele auf einer extra errichteten Startsektion das richtige Losfahren zu trainieren. “Ich habe dort Tausende von Starts gemacht. Am Abend bin ich raufgefahren, um mich im Dunkeln wieder und wieder aus der Startbox abzustoßen. Das hat sich im Laufe der Saison bezahlt gemacht.”

Über diese Möglichkeiten verfügen sonst nur andere Nationen. Die Möglichkeit zum Training zu Hause habe ihm während seiner alpinen Karriere stets gefehlt. “Da sind andere Nationen deutlich weiter. In Val Thorens gibt es neben den Hotels eine fix eingerichtete Strecke, die den Franzosen nur zu Trainingszwecken dient”, weiß Graf. Ohnehin sieht der 18. des Slaloms am Kitzbüheler Ganslernhang 2019 den heimischen Skisport vor zahlreichen Problemen. Trainingsstrecken würden ebenso fehlen wie das Heranführen an vereiste Pisten bereits in jüngeren Jahren.

2019 war Graf in Kitzbühel auf den 18. Rang gefahren. <span class="copyright">Gepa</span>
2019 war Graf in Kitzbühel auf den 18. Rang gefahren. Gepa
Damals hatte er die Startnummer 72. <span class="copyright">Gepa</span>
Damals hatte er die Startnummer 72. Gepa

Trotz seiner Erfolge bei den Skicrossern, hat der alpine Skisport Graf noch nicht ganz losgelassen. Die einmonatige Pause nach den Rennen in Innichen will der 27-Jährige dazu nutzen, um einen Riesentorlauf oder einen Super-G zu bestreiten. An welchem Ort und auf welchem Niveau steht noch nicht fest. “Im Europacup wird man mich nicht starten lassen”, sagt Graf und lacht, “es wäre in erster Linie ein Training für mich. Außerdem würde mein Material inzwischen gut funktionieren, das weiß ich. Beweisen muss ich niemandem etwas.”

Olympia als oberstes Ziel

Die Nummer eins im Weltcup macht sich auch Gedanken, wie sich der Sport weiterentwickeln könnte. Das Nightrace in Arosa sei schon ein guter Anfang gewesen. Kurze Skicrossbewerbe könnten auch gut in Städten ausgerichtet werden und würden sich dafür deutlich besser als Alpine Parallelbewerbe (“ein Negativbeispiel”) eignen. Außerdem könnte im Rahmen eines Weltcups jeweils ein Kinderrennen auf einzelnen geeigneten Abschnitten durchgeführt werden und damit ein Event über das Weltcuprennen hinaus entstehen.

Bei den Youth Olympic Games 2012 hat Mathias Graf in Innsbruck bereits olympisches Edelmetall gewonnen. <span class="copyright">Gindl</span>
Bei den Youth Olympic Games 2012 hat Mathias Graf in Innsbruck bereits olympisches Edelmetall gewonnen. Gindl

Die nächsten sportlichen Ziele liegen ohnehin auf der Hand. Die Vorfreude auf den Bewerb in Innichen kommende Woche ist groß, im Februar folgt die Freestyle-WM in Bakuriani (Georgien), bis zu den nächsten Olympischen Spielen in Mailand und Cortina dauert es allerdings noch drei Jahre. “Olympia ist für mich das oberste Ziel. Auch ein WM-Sieg wäre eine gewaltige Geschichte. Aber ich fahre ohne Druck, denn ich bin ohne Erwartungen in die Saison gestartet und kann nur gewinnen.”

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