Der Netflix-Star, der keiner sein will

Haas-Teamchef Günther Steiner hat eine große Fangemeinde – weil er authentisch ist. Und das will er auch bleiben.
Jeddah Als der amerikanische Unternehmer Gene Haas 2014 beschloss, seine Motorsportaktivitäten von der NASCAR-Serie in die Formel 1 auszuweiten, betraute er mit dem Südtiroler Günther Steiner einen Techniker und Rennsportroutinier mit dem Aufbau und der Führung des Teams, das 2016 in enger Zusammenarbeit mit Ferrari in der Formel 1 begann. Mit der 2020 gestarteten Netflix-Doku „Drive to Survive“ wurde der 57-jährige Meraner ungewollt, wie er im Interview sagt, zum „Star“ – der er keineswegs sein will.
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Sie kommen bei den Sehern der Netflix-Doku „Drive to Survive“ offenbar sehr gut an. Wie sehen Sie Ihren „Auftritt“, hat er Sie oder haben Sie sich dadurch verändert?
Ich bin derselbe wie immer. Ich mache seit der ersten Staffel nichts anderes als meine Arbeit. Ich muss gestehen, ich sehe mir selbst die Serie nicht an, was mir viele Menschen nicht glauben. Ich schau mir das aus dem Grund nicht an, weil ich mich nicht verändern will. Wenn man sich selbst sieht, will man alles anders machen. Ich will ich bleiben. Wenn ich mir das nicht ansehe, brauche ich nicht mit mir selbst kämpfen, was ich anders machen soll. Ich bin ja kein Schauspieler. Wäre ich Schauspieler, würde ich mir das anschauen, um mich zu verbessern. Aber das bin ich ja nicht. Ich will bleiben, wie ich bin, ich will glaubwürdig bleiben. Du kannst ja Leute fragen, die mich seit 20, 30 Jahren kennen, die würden sagen, ja, er war immer so . . . (lacht) doof!

Ich würde ja auch annehmen, Sie hätten gar nicht die Zeit, um Serien zu schauen . . .
Ich mache meine Arbeit, und das war’s dann. Mich stört es nicht, wenn die Netflix-Leute dabei sind und drehen. Ich arbeite so weiter, wie ich das vorhabe.
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Sie sind ein internationaler Mensch, geboren in Südtirol, Sie haben in Belgien, Großbritannien gelebt, jetzt in den USA. Wie funktioniert so ein Leben?
Ich fliege zwischen den Formel-1-Rennen immer hin und her – außer im Sommer, da bin ich zwei, drei Monate zurück in meiner Wohnung in Meran. Wenn meine 13-jährige Tochter in den USA aus der Schule in die Ferien gehen kann, bin ich mit Gattin und Tochter in Meran. Auch Weihnachten verbringen wir immer daheim in Südtirol.
Sie haben im Rallyesport bei Prodrive und M Sport, in der Formel 1 bei Cosworth, Jaguar und Red Bull Racing gearbeitet, waren dann für das Team Red Bull in der NASCAR-Serie und damit in den USA beschäftigt. Dann haben Sie das Haas-Team in die Formel 1 geführt. Was war am spannendsten?
Alles war spannend. Mir war nie langweilig. Ich konnte viele schöne Momente erleben, würde nicht sagen, der eine oder andere war spannender. Ich hatte das Glück, machen zu können, was ich will. Wenn du etwas machen musst, was dir nicht gefällt, hast du nie die Energie dafür, das Beste daraus zu machen. Ich kann in dem Sport arbeiten, den ich liebe. Wenn du erfolgreich bist, steigst du irgendwann auf, Stufe für Stufe. Das ist dann doch spannend. Aber ich würde keinen Moment als den tollsten empfinden.

Sie haben mit den zwei vielleicht bedeutendsten Österreichern im Motorsport gearbeitet, mit Niki Lauda in seiner kurzen Zeit bei Jaguar, mit Dietrich Mateschitz bei Red Bull. Wie lief es da?
Mit Niki habe ich eine sehr gute Zeit verbracht. Der hat mir in meiner Karriere viel geholfen. Durch ihn als Mentor kam ich in die Formel 1. Mit Niki machte das Arbeiten Spaß, aber du lernst auch viel durch ihn. Aber dafür musste man ihn verstehen, seine direkte Art. Ich kam mit ihm auch persönlich sehr gut aus. Was Dietrich im Motorsport, im gesamten Sport machte und erreichte, das gab es zuvor nicht und wird es meiner Meinung nach auch nicht mehr geben. Einer, der so viel investiert, und das mit Herzblut, der ist schon einmalig. Er hat mich dann, als für das F1-Team Adrian Newey verpflichtet wurde, gefragt, ob ich in die USA gehen würde, um das NASCAR-Team aufzubauen.
War der Wechsel in die amerikanische Kultur ein Schock?
Nein, weil ich schon als Junger von Amerika träumte. Ich hatte nie Angst vor der Zukunft, vor dem nächsten Schritt. Ich würde nicht jetzt noch drüben leben, hätte es mir nicht gefallen. Ich hatte nach dem Ende des NASCAR-Projekts Angebote, nach Europa zurückzukommen, aber ich baute lieber meine Firma in North Carolina auf. Fibreworks Composites gibt es weiterhin, wir haben jetzt über 200 Mitarbeiter. Mein Geschäftspartner, der 45 Prozent hält, führt die Firma.
Gene Haas ist Boss eines großen Unternehmens in Kalifornien, Haas Automation, und stieg mit Ihrer Hilfe in die Formel 1 ein. Wie ist euer Verhältnis?
Wir telefonieren nach jedem Training und Rennen, ich berichte, was passiert ist. Außerhalb der Formel-1-Rennsaison haben wir wöchentlich Kontakt. Er mischt sich ins operative Tagesgeschäft nicht ein. Einmal im Monat gibt es ein Meeting mit allen Geschäftsführern von Firma und Rennsport. Gene sagte immer: „Ich will ein F1-Team, aber ich will keine Arbeit haben damit. Die machst du.“

Nach dem schwierigen Jahr 2021 und dem Aufwärtstrend 2022: Was ist das Ziel 2023 mit Kevin Magnussen und Rückkehrer Nico Hülkenberg statt Mick Schumacher?
Das Team muss wachsen und besser werden. Die Formel 1 ist wettbewerbsfähiger denn je, es gibt keine schwachen Rennställe mehr. Alle rückten enger zusammen. Wie wir uns steigern konnten von 2021 auf 2022 war fast ein Wunder. Aber wir müssen noch besser werden, dazu holten wir eben mit Nico einen Fahrer mit viel Routine.
Was schätzen Sie an Hülkenberg?
Er ist eine Rennfahrergeneration älter als die aktuellen Rookies. Da bringt er viel mehr mit, kennt die Anforderungen einfach besser.
Das heurige Saisonziel?
Platz sechs in der Konstrukteurswertung. (Lacht) Aber das wollen einige andere auch . . .
Wird die Saison ein Red-Bull-Solo?
Es sieht nach Bahrain danach aus, aber der Kurs ist ein spezieller durch seinen Asphalt. Es wird kein Solo werden, aber Red Bull wird überlegen sein.
Für das amerikanische Team Haas sind drei US-Rennen natürlich ein Bonus?
Absolut. Aber der Boom in den USA tut der gesamten Formel 1 gut.
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Gerhard Kuntschnik ist freier Motorsport-Journalist.