Hochsensibilität – das große Potenzial, das oft übersehen wird

Mensch_N / 11.07.2023 • 14:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Andrea Latzer in ihrer Praxis in Klaus. <span class="copyright">latzer</span>
Andrea Latzer in ihrer Praxis in Klaus. latzer

Sozialpädagogin Andrea Latzer begleitet und stärkt in ihrer Praxis hochsensitive Menschen und deren Umfeld.

Klaus Was tun, wenn ein Kind anders ist als andere? Mit dieser Frage war Andrea Latzer (50) vor 20 Jahren in der eigenen Familie konfrontiert. Sie suchte Antworten und fand sie in einem Thema, das sie bis heute auch beruflich beschäftigt. Hochsensibilität.

Wichtig ist ihr dabei zu betonen: „Es ist ein Persönlichkeitsmerkmal und keine Krankheit“. Auch wenn es durchaus wie ein Störungsbild wirken könne, wenn man es nicht erkenne.

Die Merkmale

Aber wie erkennt man, ob ein Kind hochsensibel ist? Grundsätzlich gebe es fünf verschiedene Merkmale, die meist unterschiedlich ausgeprägt sind. „Deshalb verwende ich lieber den Begriff hochsensitiv, weil nicht alle automatisch auch sensibel sind“, sagt die Sozialpädagogin. Es gebe darunter introvertierte und extrovertierte Menschen. Gemeinsam ist ihnen allen die erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit.

Die Pädagogin hat sich auf das Thema Hochsensibilität spezialisiert. <span class="copyright">latzer</span>
Die Pädagogin hat sich auf das Thema Hochsensibilität spezialisiert. latzer

Ausgeprägte Sensorik

„Es gibt hochsensitive Menschen, bei denen der sensorische Bereich besonders ausgeprägt ist. Menschen mit ausgeprägtem Gehörsinn sind selbst oft sehr laut. Menschen mit ausgeprägterem Geruchssinn wiederum fühlen sich wohler, wenn sie die Jause an einem anderen Platz einnehmen“, gibt die dreifache Mutter zwei Beispiele. Es seien also oft nur kleine Änderungen, die viel bewirken. Das Ziel sei nicht, dass sich das Umfeld dem Kind anpasst. „Das wollen sie auch nicht. Sie wollen Teil der Gruppe sein.“

Andrea Latzer bei ihrem Besuch in der VN-Redaktion. <span class="copyright">vn</span>
Andrea Latzer bei ihrem Besuch in der VN-Redaktion. vn

Kleidung und Etiketten

Auch gebe es Merkmale, die in den emotional-sensiblen Bereich gehen. „Das sind etwa Kinder, die keine Etiketten an ihrer Kleidung mögen oder bestimmte Materialien nicht gut vertragen oder die auf Sonnencreme oder Leuchtstoffröhren sensibel reagieren. Wer emotional sehr ausgeprägt ist, spürt sehr intensiv, wie es den anderen geht. Wenn jemand sagt, mir geht es super, obwohl es nicht so ist, denkt das Kind es liegt falsch. Sie möchten ein authentisches Gegenüber“, erklärt Latzer.

Wissensdurst

Kinder mit einer stark kognitiven Ausprägung seien oft sehr wissbegierig. Sie möchten den Sinn dahinter verstehen und sich ständig Wissen aneignen. Wenn man sagt, dafür bist du zu jung, das musst du noch nicht verstehen, denkt das Kind, Wissensdurst ist falsch”, bringt die diplomierte Fachpädagogin für Hochsensibilität ein weiteres Beispiel. Bei einer psychomotorischen Ausprägung wiederum sei man ständig in Bewegung, am „zappeln“.

Außerdem gebe es Menschen mit einer ausgeprägten imaginären Seite. „Das sind oft Kinder mit einem imaginären Freund. Sie leben in ihrer Fantasiewelt, sind oft introvertiert, spielen gerne alleine. Das gibt ihnen aber auch Sicherheit.“

Die Praxis trägt den Namen "Lagom", der Begriff stammt aus dem Schwedischen. <span class="copyright">latzer</span>
Die Praxis trägt den Namen "Lagom", der Begriff stammt aus dem Schwedischen. latzer

Sicherheit wichtig

Sicherheit sei generell ein großes Thema bei hochsensitiven Menschen. Sie brauchen Struktur und Klarheit und eine authentische und wohlwollende Struktur. Neuanfänge seien deshalb oft mit Herausforderungen verbunden, Regenerationszeiten deshalb wichtig. Gemeinsam hätten sie auch eine hohe Intelligenz. „Bei ihnen bilden sich mehr Nervenbahnen im Gehirn“, so Latzer.

Umgang üben

Hochsensitiv bleibe man ein Leben lang, der Umgang damit darf aber geübt werden, sagt Latzer. Wenn man es wisse, habe man schon viel gewonnen. Dadurch entspanne sich auch vieles im Umfeld.

Andrea Latzer entspannt privat gerne am See. <span class="copyright">latzer</span>
Andrea Latzer entspannt privat gerne am See. latzer

Dabei ist das Persönlichkeitsmerkmal gar nicht selten. 15 bis 20 Prozent aller Menschen sind laut Expertenschätzungen hochsensibel.

Richtig so, wie es ist

Andrea Latzer gibt ihr Wissen in ihrer Praxis in Klaus weiter. Dort berät sie Eltern zum Thema, hält einmal im Monat Vorträge und Austauschrunden. „Ich arbeite mit dem Umfeld. Die Kinder kommen meist nicht mit. Sonst hätten sie das Gefühl, dass etwas mit ihnen nicht stimmt.“ Auch geht sie gerne in pädagogische Einrichtungen, um zu sensibilisieren. Ihre Praxis trägt den Namen „Lagom“. Der Begriff kommt aus dem Schwedischen und wird dort immer dann verwendet, wenn Dinge genau richtig sind, so wie sie sind.

Darauf will die Klauserin auch den Fokus richten – auf die Potenziale hochsensibler Menschen. „Auf das Positive, auf all ihre Fähigkeiten, nicht auf das, was sie nicht können.“

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Zur Person

Andrea Latzer berät in ihrer Praxis zum Thema Hochsensibilität

geboren: 1972

Ausbildung: Kolleg für Sozialpädagogik in Stams, Dipl. Erziehungs- und Jugendberaterin, Dipl. Fachpädagogin für Hochsensibilität

Familie: verheiratet, drei Söhne

Hobbys: Spazieren, Radfahren, Schwimmen, in der Natur und am See