“Seine Krebserkrankung war für mich ein großer Schock”

Erna Fischer (90) aus Lustenau blickt auf ein bewegtes Leben voller Höhen und Tiefen zurück.
Lustenau Erna Fischer (90) kann sich vorstellen, 100 Jahre alt zu werden. “Aber nur, wenn ich niemandem zur Last falle.” Es würde ihr aber auch nichts ausmachen, wenn sie heute schon stürbe. “Jeden Abend sage ich zum Herrgott: Wenn du willst, kannst du mich holen. Ich habe mein Leben gelebt.”
Erna kam am 8. Jänner 1935 in Niederösterreich zur Welt. “Ich wurde auf einer Alpe geboren, die meine Eltern bewirtschafteten. Die Hebamme kam mit Skiern zu uns, um bei der Geburt zu helfen.” In der Alphütte gab es weder Strom noch fließendes Wasser. “Man schmolz Schnee, um mich baden zu können.”

Ernas Vater verlor seine Arbeit als Jagdaufseher und Viehhirte nach einem Wilderer-Drama. “Papas Brüder wurden von einem Jäger beim Wildern erwischt. Der Jäger erschoss einen der Brüder. Der andere Bruder erschoss den Jäger. Daraufhin wurde er eingesperrt”, erzählt Erna in knappen Worten, was sich damals im Wald zutrug. Später bekam Ernas Vater eine Anstellung auf einem abgelegenen Gutshof. “Die Schule war im Tal, der Schulweg lang. Ich brauchte eineinhalb Stunden zur Schule.” Erna war eine Spitzenschülerin, die lauter Einser hatte. Sie hätte nach der Hauptschule gern weitergelernt. “Aber ich konnte nicht studieren. Es war kein Geld da.”
Von Niederösterreich nach Vorarlberg
Mit 14 machte sich die Niederösterreicherin allein auf den Weg nach Vorarlberg. In Lustenau bekam der Teenager eine Anstellung als Haushälterin bei einer Familie mit zwei Kindern. “Ich hatte das Gefühl, ich komm’ ins Schlaraffenland. Die Familie wohnte komfortabel. Parkettböden, Zentralheizung und Waschmaschine. Ich kam mir vor, wie im Paradies.” Aber Erna blieb nicht lange in Vorarlberg. “Meine Mutter hatte für mich in Lunz am See eine Lehrstelle ausfindig gemacht, bei einem Herrenschneider.” Nach der dreijährigen Lehre fand die Herrenschneiderin in Niederösterreich keine Arbeit. Deshalb kam sie wieder nach Vorarlberg. “Hier gab es genug offene Stellen.” Nach kurzer Suche fand Erna bei einem Schneider in Lustenau Arbeit.

Mit 20 lernte die junge Frau Lothar Fischer aus Lustenau kennen, ihren späteren Ehemann. Mit dem Zimmermann bekam sie zwei Kinder. Jahrelang fertigte Erna in Heimarbeit Herrenhosen an. Aber ihre schönsten Berufsjahre hatte sie im Kindergarten Hasenfeld. “Die Kinder mochten mich. Und ich mochte sie.” Erna arbeitete mehr als 20 Jahre lang und bis zu ihrer Pensionierung als Kindergartenhelferin.
In der Rente widmete sie sich verstärkt ihrem Ehemann. Dieser war an Prostata- und Lymphdrüsenkrebs erkrankt. “Das war für mich ein großer Schock.” Nach der Diagnose blieben dem Paar noch dreieinhalb gemeinsame Jahre. “Es waren schöne und intensive Jahre. In den letzten sechs Monaten seines Lebens war Lothar aber auf Morphium angewiesen.” Lothar starb mit 66 Jahren. Die Witwe trauerte. Aber sie blieb ihrem Lebensmotto treu: Nicht aufgeben!

Mit 70 lernte sie nochmals einen Mann kennen. “Ich war in Hans verliebt. Wir schrieben uns Liebesbriefe.” Aber auch ihn musste sie nach fünf Jahren Beziehung loslassen. “Hans hatte einen Herzinfarkt. Ich fand ihn leblos in seinem Fernsehsessel.” Dem Tod begegnete Erna, die vor ein paar Jahren einen Herz- und Lungeninfarkt überlebte, aber nicht erst im Alter. Schon als Kind wurde sie Zeugin eines tödlichen Zwischenfalls. “Im Zweiten Weltkrieg wurde St. Pölten von Jagdfliegern angegriffen. Einmal beobachtete ich, wie ein Pilot aus der brennenden Maschine sprang und sich der Fallschirm öffnete. Er überlebte den Absprung nicht – bei der Landung wurde er vor meinen Augen erschossen.”