Doris Knecht

Kommentar

Doris Knecht

Trauriger Abschied vom Sternen

VN / 27.08.2019 • 06:29 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Im Sternen war ich zum ersten Mal als Kind mit meinem Vater, ich erinnere mich vage. Als ich anfing, selber ausgezugehen, waren die Lokale in Feldkirch verlockender: Oscar oder Sonderbar, coole, junge Leute, Hippies und Punks, Leute, die in Bands spielten, Leute, die schrieben oder Filme machten, Menschen halt, die man als Heranwachsende interessant und inspirierend findet.

Gasthäuser waren für mich damals Orte, an denen sich alte Leute trafen, verrauchte Räume, in denen sie Karten spielten und Bier tranken, so wie der Großvater nach seiner Pensionierung in einem Gasthaus in der Nähe seines Hauses. Der Großvater ist schon vor vielen Jahren gestorben, und das Gasthaus, in dem er immer saß, hat auch schon sehr lange geschlossen.

„Mit jedem dieser Gasthäuser geht einer Gemeinde etwas Substanzielles verloren.“

Ich fing dann trotzdem an, ins Wirtshaus zu gehen, mit ein paar Freunden, die sich dort am wohlsten fühlten. Es gab verschiedene Gasthäuser, in die wir gingen, aber irgendwann trafen wir uns vor allem im Rankler Sternbräu; wenns warm genug war, draußen im Gastgarten. Wenns kühler war, drinnen in der verrauchten Gaststube. Das Schöne und das Besondere an einem richtigen Gasthaus ist eben, dass sich dort nicht nur eine homogene Gruppe von Gleichgesinnten trifft: Dort begegnen sich Alt und Jung, Frauen und Männer, Arbeiter und Unternehmer, Schwarze, Grüne und Rote. Man sieht sich, man kennt sich, man trinkt und isst zusammen oder zumindest im gleichen Raum, man redet nebeneinander und manchmal miteinander und ist ein bisschen gleicher als sonst.

Dem Sternbräu blieb ich treu, auch nachdem ich nach Wien gezogen war. Wenn ich im Ländle bin, rufe ich die Freunde an, und wir treffen uns im Sternen. Ich bestelle immer ein kleines Helles, die anderen sind abenteuerlustiger. Der Sternbräu hat sich, bis auf eine neue Schank, glaube ich, nie sehr verändert, was einerseits gut war und an manchen Stellen nicht so gut, aber egal. Es war ein vertrauter Ort, der sich gar nicht zu sehr verändern sollte – wie ein alter Freund, dem man sagt, er soll so bleiben, wie er ist.

Der Sternen bleibt nicht. Er wird zugesperrt. Vermutlich wird passieren, was fast immer passiert: Das alte Gebäude wird abgerissen, ein modernes Wohn-Büro-Geschäftsgebäude wird hochgezogen. Ich finde das traurig. Mit jedem dieser Gasthäuser geht einer Gemeinde etwas Substanzielles verloren: ein Treffpunkt für ganz unterschiedliche Menschen, ein Ort, an dem das Gemeinsame über das Trennende gestellt wird.

Am Samstag war ich da, mit Freunden. Es war ein lauschiger Sommerabend, wir redeten und lachten und tranken Bier an einem der runden Tische im Gastgarten neben den sich stapelnden Bierfässern und den Kistentürmen, und wahrscheinlich war es das letzte Mal.

Doris Knecht
doris.knecht@vn.at
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.

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