Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Der Radiomann

VN / 13.09.2019 • 12:59 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Der blinde Bub war gerade ein Jahr alt, da schenkte ihm seine Mutter einen Transistorradio. Sie dachte sich, wenn mein Sohn schon nicht sehen kann, dann soll er wenigstens viel hören. Der Kleine drehte mit seinen Fingerchen am Radio, hörte die Geräusche, und Bilder formten sich in seinem Kopf, von denen wir nichts wissen können, weil wir sehen. Bald kannte er sämtliche Stimmen und fragte seine Mutter, wo sich die befinden, und sie sagte: „Ja, die Stimmen kommen aus diesem Apparat.“ Sie erzählte ihm, dass die Stimmen Leuten gehören, die das Sprechen gut gelernt haben, und deshalb für diese Arbeit ausgewählt wurden.

„Die Stimme schrieb, alles was er sei, mache seine Stimme aus, sonst sei er sehr gewöhnlich.“

Der Winter kam, und der Bub hatte die fixe Idee, dass es den sprechenden Menschen im Transistorgerät sicher kalt sei – er stellte sich die Leute nämlich so klein vor, dass sie in den Apparat passten. Die Vorstellung, dass die Mernschen dort drinnen frieren, gefiel ihm gar nicht, und er montierte mit Geschick den Transistor auseinadner und stopfte Heu hinein. So, jetzt war da Wärme. Nun, da konnte er gar nichts mehr hören, und die Mutter setzte sich an sein Bettchen und versuchte zu erklären. Was sie erzählte und was der Bub sich vorstellte, war natürlich völlig verschieden. Wenn er seine Mutter betastete, wusste er, dass sich so ein Mensch anfühlt, weil seine Mutter ja ein Mensch war, aber andere Menschen fühlten sich wieder völlig anders an. Zu jedem Geburtstag schenkte ihm seine Mutter ein Radio. Als er in die Schule kam, hatte er bereits sieben Geräte, und er hatte seine helle Freude damit. Die Worte „helle Freude“ sind natürlich bei einem Blinden ein absoluter Unsinn.

Der Bub wurde größer und kam in ein Internat, und da waren keine Radios erlaubt. Seine Geräte wurden konfiziert. Darüber war der Bub sehr unglücklich. Erst mit sechzehn würde er wieder seine Radios bekommen. Und da wurden sie ihm ausgehändigt, alle in einer Schachtel, zwölf an der Zahl. Er behielt ein Gerät, das sich besonders gut anfühlte, die anderen verschenkte er an seine Mitschüler.
Mit der Zeit wusste er, welche Stimme zu welcher Sendung gehörte, und als ihm einmal eine besonders gut gefiel und er ganz süchtig danach war, bat er seine Mutter, dieser Stimme einen Brief zu schreiben. Bald darauf war in der Post ein Antwort-Brief dieser Stimme, die dem Bub sagte, dass er sich geehrt fühle, von ihm so gern gehört zu werden. Die Stimme schrieb, alles was er sei, mache seine Stimme aus, sonst sei er sehr gewöhnlich. Das fanden der Bub und seine Mutter sehr sympahtisch.

Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.

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