Ablenkung
Den Spieß umdrehen – die Befolgung dieser Redensart ist in einer bedrängten Lage ein oft bewährtes Erfolgsrezept. Das dürfte sich auch die Liste Sebastian Kurz gedacht haben, als Medien verschleierte Spenden und die Wochenzeitschrift Falter unangenehme Details aus der türkisen Buchhaltung an den Pranger stellten. Nachdem ein Maulwurf in den eigenen Reihen naturgemäß nicht in Betracht kommen darf, musste es ein krimineller Angriff auf die EDV der Parteizentrale samt Datenmanipulation gewesen sein. Und so wird jetzt die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, wer das gewesen sein könnte und wie man künftig derartige Informationsbeschaffung unterbinden kann.
„Die Auswirkungen auf das Wahlergebnis werden bescheiden sein.“
Als bei FPÖ-Vizekanzler Strache mit einem Video entlarvt wurde, womit man bei ihm rechnen müsste (Machtübernahme bei der Kronen-Zeitung, Auftragsvergaben für eine spendable Oligarchennichte), konzentrierte er sich auf Kritik an der strafbaren Vorgangsweise. Seine Einsicht beschränkte sich darauf, dass er besser nicht so viel getrunken hätte und nicht so redselig gewesen wäre, von seinen Vorhaben an sich hat er sich nicht klar distanziert.
Bemerkenswert ist, welchen Stellenwert man österreichischen Politikern offenbar zumisst. Immerhin musste jemand ja viel Geld und Mühe aufwenden. Bei einer Weltmacht wie den USA hat so etwas ein vernünftiges Kosten-Nutzen-Verhältnis, aber in Österreich? Es ist ja interessant, dass gerade Strache als Zielobjekt und nicht ein einflussreicherer europäischer Politiker ausgesucht wurde. Und dass die Buchhaltungen großer ausländischer Parteien ausgespäht wurden, ist auch noch nicht bekannt geworden. Offenbar war man sich sicher, etwas zu finden.
Die Auswirkungen auf das Wahlergebnis werden, auch das ist eine österreichische Besonderheit, bescheiden sein. Bei der EU-Wahl hat das Ibiza-Video der FPÖ nicht wesentlich geschadet und dass Sebastian Kurz namhafte Einbußen hinnehmen müsste, ist nach den Meinungsumfragen offenkundig nicht zu erwarten. Zu unangefochten ist seine Stellung als Bundeskanzler, zumal sich nicht einmal die SPÖ-Vorsitzende als Kanzlerkandidatin sehen will. Spannend ist allein die Frage nach der Farbkombination der künftigen Bundesregierung. Das hängt einerseits von den rechnerischen Rahmenbedingungen und insbesondere für den Fall einer Minderheitsregierung davon ab, was der Bundespräsident davon hält. Wie man aber 2000 bei der Auseinandersetzung zwischen Klestil und Schüssel sehen konnte, sitzt über den Bundespräsidenten hinweg der am längeren Hebel, der die Parlamentsmehrheit hinter oder zumindest nicht gegen sich hat.
Jürgen Weiss
juergen.weiss@vn.at
Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.
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