Doris Knecht

Kommentar

Doris Knecht

Und um Punkt zwölf Mittagessen

VN / 23.09.2019 • 19:59 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Bis nach Wien hinunter hat man gehört, dass die Schweiz sich vorstellen könnte, Vorarlberg als neuen Kanton anzugliedern. Das ist einerseits ein bisschen bitter, denn endlich erinnert sich kaum jemand mehr dran, dass Vorarlberg vor genau hundert Jahren gerne Teil der Schweiz geworden wäre und nicht erhört wurde, wofür man bis heute verhöhnt wird. Andererseits ist genau das natürlich eine späte Genugtuung: Aha, jetzt wollen sie auf einmal, die Schweizer! Jetzt ist man auf einmal gut genug.

„Aha, jetzt wollen sie auf einmal, die Schweizer! Jetzt ist man auf einmal gut genug.“

Ich habe unlängst für eine Schweizer Zeitung einen Essay über die Schweiz geschrieben und daher lange darüber nachgedacht, was Österreich mit der Schweiz verbindet, genauer: was mich mit der Schweiz verbindet. Natürlich viel, wenn man mit Blick auf die Schweizer Berge aufgewachsen ist, mit einem ganz ähnlichen, in der übrigen Welt verspotteten Dialekt. Ich bekam den Auftrag, weil ich einmal knapp zwei Jahre in Zürich gelebt habe, aber das ist fast zwanzig Jahre her und jetzt bekomme ich die Schweiz nur noch mit Kurzbesuchen mit und durch die Freundinnen und Freunde, die ich dort immer noch habe. Denn das ist natürlich einer der vielen Aspekte, die die Schweiz, zumindest die deutschsprachige, und Vorarlberg verbinden: die pragmatische, spröde, im Grunde misstrauische alemannische Mentalität, der allerdings ein ordentliches Maß an Treue immanent ist: Man wird nicht so schnell mit jeder Dahergelaufenen warm, aber wenn, dann speichert sich diese Wärme sehr lang.

Ich damals, als ich nach Zürich übersiedelte, von fünfzehn Jahren Wiener Laissez-Faire-Mentalität schon ordentlich versaut, und nicht nur die Schweizer taten sich schwer mit mir: ich tat mir plötzlich schwer mit den Alemannen, mit dieser nüchternen Gründlichkeit, die zuverlässige Ordnung und Ordentlichkeit, egal wobei, über alles andere stellte. In Wien hatte ich mich natürlich umgehend in Kreise begeben, in der fixe Essens-, Arbeits- und Schlafengeh-Zeiten nicht vorgesehen waren. In Zürich lernte ich dann wieder, dass man Punkt zwölf zu Mittag isst und Punkt sechs das Werkzeug ablegt, egal, woran man gerade arbeitet. Danach habe ich’s sofort wieder verlernt.

Kürzlich war eine Freundin aus dieser Zürcher Zeit drei Tage zu Besuch in Wien, und es war absolut bezaubernd, wie es ihr mit sanfter Bestimmtheit gelang, zumindest meine Essensgewohnheiten kurz wieder in dieses alemannische Zeitkorsett zu schnüren. Und mich zumindest vorübergehend aus der Schlamperei zu retten.

Soweit ich das aus der Ferne beurteilen kann, wollen die Vorarlberger trotz aller Gemeinsamkeiten nicht mehr Schweizer werden. Gottlob. Denn was wäre Österreich ohne das praktische, ordentliche Ländle… Genau.

Doris Knecht
doris.knecht@vn.at
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.