„Jetzt sparen zu wollen ist eine falsche Denke“

VN / 11.07.2020 • 08:00 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
„Jetzt sparen zu wollen ist eine falsche Denke“
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Die VN laden auch heuer die Spitzenvertreter aller im Landtag vertretenen Fraktionen zu einem Sommergespräch ins Restaurant Guth in Lauterach.

Auftakt macht wiederum Sabine Scheffknecht als Klubchefin der Neos, die seit der Landtagswahl 2019 mit drei Abgeordneten im Landesparlament vertreten sind.

Frau Scheffknecht, was haben Sie aus der Zeit der Pandemie mitgenommen oder gelernt?

Man definiert die Wichtigkeiten neu. Werte wie Job- oder Ausbildungssicherheit sowie lokal einkaufen gewinnen an Bedeutung. Das stelle ich auch bei mir als Mutter zweier Kinder fest. Das Thema Gesundheit, die Sorge um die ältere Generation und Risikopersonen ist nicht nur bei mir ganz nach vorne gerückt. Und als Unternehmerin fragt man sich schon, wie soll das weitergehen. Im Land wurde zu Beginn der Coronakrise gut agiert und an einem Strang gezogen. Dann hat man aber sehr schnell bemerkt, dass es eine Balance zwischen Gesundheit, Wirtschaft und Gesellschaft geben muss. Diese Balance zu finden war nicht einfach und ist im Sinne von schneller und unbürokratischer Hilfe auch nicht gut gelungen.

Stichwort Krise: Welche Note würden Sie der Landesregierung bei der Bewältigung geben?

Nachdem ich mich nicht für Ziffernnoten einsetze, sondern für eine alternative Beurteilungsform, möchte ich dies auch in dieser Form machen. Ich glaube, dass die Landesregierung in Zeiten dieser massiven Gesundheitskrise versucht hat, ihr Bestes zu tun. Die Entscheidungen wurden nach bestem Wissen und Gewissen im Sinne der Menschen und Erkrankten getroffen. Dennoch hätten wir in manchen Bereichen manches anders gemacht und haben die Kritik auch angebracht. Dass manche Behandlungen im Gesundheitssystem nicht mehr stattfanden, haben wir kritisch gesehen. Neben den Covid19-Erkrankten gibt es ja auch die anderen Kranken.

Derzeit scheint die Gesundheitskrise unter Kontrolle. Wie beurteilen Sie die Bemühungen zur Ankurbelung der Wirtschaft?

Im Moment sehe ich noch nicht viel von den Bemühungen von politischer Seite. Wir haben bereits vor zwei Monaten einen Expertenstab gefordert – und diesen Stab gibt es bis heute nicht. Ich befürchte, dass man Zeit versäumt hat sich genau zu überlegen, wie man die wirtschaftliche Delle klein halten kann. Da hätte ich mir zu einem früheren Zeitpunkt mehr erwartet. Einen Krisenstab, der die Landesregierung in der Krise berät, gibt es in dieser Form noch nicht. Aus meiner Sicht geht die Wirtschaftskammer in Sachen Ankurbelung der Wirtschaft derzeit dem Land voraus.

Welche Wirtschaftsbereiche bereiten Ihnen die größten Sorgen?

Auch wenn es hart klingt, aber eines darf nicht der Fall sein: Es dürfen nicht nur die was bekommen, die am lautesten schreien. Es war dringend notwendig, dass man im Tourismusbereich etwas unternimmt, das verstehe ich. Da geht‘s um Existenzen. Was allerdings aus meiner Sicht fehlt, ist ein großes Gesamtkonzept. Das wurde bisher weder von Bundes- noch von Landesseite konkret angegangen. Es gibt ganz viele, vor allem kleine Unternehmen in Vorarlberg, die dringend Unterstützung bräuchten. Aus eigener Erfahrung als Unternehmerin kann ich sagen, dass es höchst bürokratisch ist, bis man zum Geld kommt. Und es ist höchst an der Zeit, darauf zu achten, dass die Unternehmen wieder zu Eigenkapital kommen können.

Waren sie überrascht von der raschen Schließung der Schulen und sagt das für Sie etwas aus über den Stellenwert Bildung?

Ich möchte eher von einem Nichtstellungswert der Bildung sprechen. Jetzt hat sich das Ganze auch in Oberösterreich wiederholt: das Erste, das geschlossen wird, sind die Schulen. Es ist aus meiner Sicht essenziell, dass die Schulen im Herbst wieder auf Normalbetrieb gehen. Und falls Cluster mit Corona auftreten sollten, kann vielleicht punktuell eine Schule geschlossen werden.

Sie haben früher oft LH Markus Wallner wegen dessen Finanzgebarung kritisiert. Jetzt gibt es die Politik nach dem Motto „Koste es was es wolle“. Was sagen Sie dazu?

Dieses Motto gibt es in Vorarlberg nicht. Im Land sind die Abteilungen offenbar angehalten, auf die Kostenbremse zu stehen und zwischen sieben und zehn Prozent weniger auszugeben. Das sehe ich auch sehr kritisch. Als ich die Headline „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“ gesehen habe, war ich überrascht und schockiert. Genau das hat man im Land nicht gemacht. Was wir seit Jahren sagen, nämlich in wirtschaftlich gut laufenden Jahren wie 2017 sowie 2018 und 2019 mit Rekordeinnahmen Rücklagen zu bilden, hat man nicht getan. Das Land hat weiter auf Kosten der Rücklagen gelebt und Schulden aufgebaut. Dieses Geld fehlt uns jetzt und das kritisieren wir. Dennoch glaube ich, dass man als Land zur Ankurbelung der Wirtschaft gerade jetzt investieren muss. Das hilft und stärkt den Arbeitsmarkt. Jetzt sparen zu wollen ist eine falsche Denke, das hätte man wie gesagt in den Vorjahren machen sollen.

Wie stehen die Neos zum Bau der S 18 und zum Stadttunnel Feldkirch?

Es braucht Straßenlösungen. Aber es ist kein Geheimnis, dass wir noch nie ein Freund der Tunnelspinne in Feldkirch waren und uns eine kleinere Variante lieber gewesen wäre. Ich wohne selbst in Lustenau. Es braucht auch im unteren Rheintal eine Lösung, und zwar lieber gestern wie heute. Mit Blick auf die nächsten Generationen sollte man in diesem Bereich auch auf nachhaltige Lösungen setzen. Es gilt auch über den Ausbau des Schienenverkehrs nachzudenken. Vor allem im Bereich des Güterverkehrs. Das passiert leider schon länger nicht mehr. Ein Gleis in die Schweiz ist für mich zu wenig, es muss ein zweigleisiger Ausbau kommen. Unser Denken über die Bahninfrastruktur darf nicht an den Landesgrenzen zu Ende sein. Das kritisiere ich nicht nur an der Volkspartei, sondern speziell an den Grünen. Die Grünen müssten eigentlich die Treiber sein und solche Dinge einfordern.

Noch ein Blick in die Zukunft: Das politische Programm wurde unter dem Eindruck von Corona quasi über den Haufen geworfen. Was bringt der politische Herbst bei den Neos?

Ich glaube eben nicht, dass man politische Programme über den Haufen werfen soll. Man muss die langfristige Vision immer im Kopf haben. Wir haben ganz bewusst den Prozess zur Marke Vorarlberg mitunterstützt. Und damit auch das Ziel, dass Vorarlberg das chancenreichste für unsere Kinder werden soll. Aus unserer Sicht allerdings deutlich früher als 2035. Das langfristige Ziel dürfen wir trotz Corona nicht aus den Augen verlieren. Eine der wichtigsten Fragen wird sein, wie wir in Zeiten einer Rezession Arbeitsplätze halten und neue generieren können. Das ist nur mit und nicht gegen die Wirtschaft möglich. Es braucht neue Ideen, Innovation und vor allem das, was Vorarlberg auszeichnet: nämlich sich neuen Situationen und Herausforderungen anzupassen.

Das Gespräch führten für die VN Gerold Riedmann und Tony Walser.