Brigadier Gunther Hessel: „Je enger wir zusammenrücken, umso weniger anfällig sind wir“

Als Auftakt einer dreiteiligen Serie zu den Aufgaben und Möglichkeiten des Heeres in solchen Sonderlagen trafen die VN ihn im Landesmilitärkommando.
Bregenz Der Terror in Wien zeigte eine bislang eher unbekannte Seite des Assistenzeinsatzes: Die Unterstützung der Polizei in Sonderlagen wie Terrorangriffen. Die Rolle und Vorbereitung des Militärs in Vorarlberg behandeln die VN in drei Artikeln.
Mit Ende Jänner übernahm Brigadier Gunther Hessel das Militärkommando und trägt die Verantwortung für die Soldaten im Ländle.
Herr Brigadier, mit welchen Gefühlen blickten Sie auf den Terroranschlag in Wien?
Hessel Obwohl wir Soldaten und Sicherheitsexperten immer wieder vor solchen Szenarien gewarnt haben, ist es trotzdem immer mit einer großen Betroffenheit verbunden, wenn so etwas tatsächlich passiert. Natürlich begleitet einen das Gefühl, zu hassen recht zu haben, gleichzeitig ist es eine Ungläubigkeit, dass es tatsächlich passiert. Das Gleiche ist es mit der Pandemie, diese hatten wir immer im Risikobild drinnen. Es bestätigt die Tendenz, dass die Welt unsicherer wird.
Was bedeutet das für Vorarlberg, dass die Welt unsicherer wird?
Wir haben den Klimawandel und daher vor allem in Afrika Klimaflüchtlinge im zweistelligen Millionenbereich. Gleichzeitig wird sich in Afrika die Bevölkerung bis 2050 verdoppeln. Und wir haben im Bogen von der Ukraine über den Kaukasus und den Mittleren Osten bis Nordostafrika zahllose Konflikte. Konflikte bedeuten immer Menschen auf der Flucht und immer Menschen, die offen sind für Ideologien – den Nährboden für Terror. Das hat alles Auswirkungen auf Europa und damit auf Österreich und Vorarlberg. Und auch wenn wir keine Anzeichen dafür haben, dass dies unmittelbar bevorsteht: Einen Einzeltäter wie in Wien kann es jederzeit in ganz Europa geben.
Wie würde das Bundesheer dann eingesetzt werden im Ländle?
Ich möchte den aktuellen Planungen des Generalstabs nicht vorgreifen, aber bereits in jenen von 2018 zeigte sich, dass es keine Vorwarnzeiten gibt und Wahrscheinlichkeiten sich kaum prognostizieren lassen. Das bedeutet, man muss sehr flexibel und rasch agieren und immer beurteilen, wie auf die aktuelle Bedrohung reagiert werden muss. Unser Generalstabschef hat vor vier Jahren schon gesagt, die wahre kritische Infrastruktur ist die Bevölkerung. Das hat man jetzt am Beispiel von Wien wieder gesehen.
Welche Rolle spielt der Hägglund?
Der Hägglund ist von unschätzbarem Wert in allen Aufgabenbereichen. Im Katastrophenfall kann er in abgeschnittene Landesteile vordringen und Hilfe leisten. Es ist das erste Fahrzeug mit Schutz für die Verwundetenbergung oder den Transport von Einsatzkräften bei einer Amoklage. Auch bei der Kontrolle der Staatsgrenzen oder zum Schutz kritischer Infrastruktur im Gebirge unverzichtbar.
Ein großes Thema waren auch die Kasernen als Sicherheitsinseln. Versprochen war viel, umgesetzt wurde nur halb so viel …
Halb so viel? Nichts, Entschuldigung. Ich glaube es ist ein wichtiges Konzept, das wirklich zur Umsetzung gelangen soll, wenn man eine hybride Bedrohung ernst nimmt. Es gibt zwei Konzepte: Die Kasernenautarkie, so dass wir den Betrieb mit einer Notversorgung aufrechterhalten können. Und die Sicherheitsinsel als Anlauf- und Versorgungstelle für andere Einsatzorganisationen. Und ich habe den Eindruck, das wird von der Frau Bundesministerin wirklich ernst genommen und angegangen. Da bin ich sehr zuversichtlich.
Hybride bedrohung
Darunter versteht das Bundesheer eine Summe von offenen und verdeckten Maßnahmen durch staatliche oder nichtstaatliche Organisatioenen, um eine Gesellschaft oder einen Staat zu destabilisieren und zu schwächen. Dazu werden meist folgende Mittel parallel eingesetzt: Desinformation und Fake News, Cyberangriffe auf lebenswichtige Infrastruktur, Unruhen oder Unterwanderung durch Extremisten, Provokation eines Blackouts in Form anhaltender vollständiger Stromausfälle bis hin zu Kampfhandlungen.
Muss man wirklich von so einem hybriden Angriff ausgehen?
Ja, unbedingt. Denken wir an einen Blackout, vielleicht mit Sprengstoffattentaten und Terrorismus in jeder Form. Es ist nicht wahrscheinlich, aber es ist möglich, weil es diese Netzwerke gibt, denn Globalisierung unterstützt auch die Ausbreitung von Ideologien und Extremismus in Europa.
Wie sensibel ist das politische Vorarlberg dafür?
Ich bin sehr positiv überrascht. Alle Parteien, mit denen ich gesprochen habe, sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Vor allem die Landesregierung hat eine sensible Einstellung zum Thema Sicherheit und ist sehr aufgeschlossen und interessiert. Dies zeigt sich schon am kürzlichen einstimmigen Beschluss des Landtags mit 14 Punkten, in denen Position für das Bundesheer bezogen wurde.
Fühlte man sich bisher als Soldat oft als ungehörter Mahner?
Erst während der Covidlage im Frühjahr habe ich Landesrat Christian Gantner und Landeshauptmann Markus Wallner gewarnt, dass gerade eine geschwächte Gesellschaft anfällig für Terroranschläge ist. Als das Attentat in Wien war, haben beide gesagt, sie haben an mich denken müssen. Als Soldaten sind wir vielleicht die größten Pazifisten, denn wir setzen uns mit dem Krieg auseinander und wollen in Frieden leben.
Doch für die Sicherheit ist nicht nur Politik, Bundesheer und Polizei zuständig, sondern jeder Einzelne. Jeder dient der Sicherheit, wenn er eine positive, offene, respektvolle und tolerante menschliche Grundhaltung hat. Je enger die Gesellschaft zusammenrückt, umso weniger anfälliger ist sie.