Gerold Riedmann

Kommentar

Gerold Riedmann

Falsch positiv

VN / 27.11.2020 • 20:43 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Einer der Routine-Antigen-Schnelltests schlug hauchdünn positiv an – und beendet den Alltag augenblicklich. Starke Zweifel des Probanden und ein nur leicht verfärbter Teststreifen helfen nicht. Positiv ist positiv. Erneute Probenentnahme für den PCR-Test. Mit immer größeren Wattestäbchen bohren sie in der Nase. Unangenehm, aber man schafft das. Bloß Hoffnung macht mir die Ärztin nicht: „Alle positiven Schnelltests sind beim PCR-Test auch positiv.”

Ehe ich es mir versehe, sitze ich per SMS für Corona-positiv erklärt und fast augenblicklich von der BH dramatisch per Epidemiegesetz und automatisch per PDF abgesondert in einem Zimmer zuhause. Nur mehr mit FFP2-Maske traue ich mich von meinem Rückzugsort in den Flur, man will ja Frau und Kinder nicht anstecken. Stündliches Fiebermessen, vielleicht tut sich ja doch was in Sachen Symptome. Wo kann ich mir das eingefangen haben? Habe ja niemanden getroffen, wie ein Mönch gelebt. Der freundlichen Frau vom Contact-Tracing telefonisch die Angaben bestätigt. Auf der Webseite, auf der später das PCR-Testergebnis stehen wird, prangt jetzt schon in rot „POSITIV”. Das Neuladen der Seite wird zur Sucht, wie beim Paket-Tracking. Der Befund klingt unmissverständlich, man beginnt sich mit der vermeintlichen Infektion abzufinden.

Es dauerte von Dienstag bis Donnerstag. Dann das SMS: „Covid19-Testergebnis verfügbar”. So schnell geschah noch nie ein Login, so wunderschön grün war das Wort „NEGATIV” noch nie auf einem Bildschirm erschienen. Der genaue PCR-Test in der Pathologie konnte überhaupt keine Spur vom Corona-Virus nachweisen. Damit zurück ins Leben, Erleichterung. Das ist freilich alles nichts gegen eine tatsächliche Covid-Erkrankung, doch: Wie kann das alles sein?
Von der Spezies der Falsch-Positiven gibt es aktuell nur wenige, kommende Woche wird sich das allerdings gewaltig ändern.
Das hängt mit der Vortestwahrscheinlichkeit zusammen, also wie viele Infizierte sich unter den Getesteten befinden. Bisher testen die Hausärzte nur Menschen mit Symptomen. Die Wahrscheinlichkeit, dass da viele Infizierte darunter sind, ist also hoch. Wenn jeder Zweite, der getestet wird, Corona hat, sind 97 Prozent der positiven Antigen-Tests tatsächlich positiv.

Wenn aber die gesamte Bevölkerung, die meisten ohne Symptome, getestet wird, dann sind nur mehr rund 1 bis 3 Prozent positiv. Die Schnelltests schlagen dann zu schnell an, im schlechtesten Fall liegt die positive Vorhersagegenauigkeit nur bei 25 Prozent. Nur jedes vierte positive Schnelltest-Resultat wäre dann auch tatsächlich Corona-positiv. Der Massentest wird einigen Beifang generieren.
Im Südtirol oder der Slowakei wurde nicht per PCR nachgetestet. Viele werden niemals erfahren, dass sie eigentlich negativ waren. In Vorarlberg werden alle positiven Schnelltests nachgeprüft, auch damit niemand zehn Tage umsonst in Quarantäne sitzt – eine wichtige Weiterentwicklung!

Dies ist ein klarer Aufruf, sich testen zu lassen. Und gleichzeitig zu wissen, dass Antigen-Tests erst seit ein paar Wochen in diesen Mengen verfügbar sind, der Massentest ist natürlich ein großes Experiment. Jedenfalls wird die politisch inszenierte Aktion dazu beitragen, bisher unerkannte Fälle zu entdecken. Alleine das ist gut und rechtfertigt den Aufwand. Die erkleckliche Zahl an Falsch-Positiven muss in Kauf genommen werden. Diese Zahl könnte jedoch in die Tausende gehen, warnen Experten.

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