Wo sich genaues Hinsehen lohnt

Kunstraum Dock 20 beleuchtet die lange Tradition der Lustenauer Stickerhäuser.
Lustenau Fährt oder spaziert man durch die Markgemeinde Lustenau, begegnen sie einem an jeder Ecke, ob wissentlich oder nicht. Die Rede ist von den sogenannten Stickerhäusern, die in den letzten 150 Jahren Architektur, Ortsbild und damit einhergehend die Lebenswelten in der Marktgemeinde prägten. In Kooperation mit dem Historischen Archiv dokumentiert der Kunstraum Dock 20 in Lustenau nun in seiner ersten großen Ausstellung in diesem Jahr die lange Tradition dieser Stickerhäuser. Bis heute existieren noch über 400 solcher Gebäude, in denen einst gestickt wurde. Inhaltlich hauptverantwortlich für die Ausstellung „Bauerbe Lustenauer Stickerhäuser – Eine Bestandsaufnahme“ zeichnet Oliver Heinzle vom Historischen Archiv in Lustenau, der die vergangenen eineinhalb Jahre einen Bestandskatalog von hauptsächlich privaten Architekturen erarbeitet hat, die im Zusammenhang mit der Lustenauer Stickereiwirtschaft über die letzten 150 Jahre steht.

Der Ausstellungsrundgang beginnt mit einem Gemeindeplan, auf dem die Fülle an noch heute existierenden Objekten auf einen Blick ersichtlich wird. Man erhebe dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sagt Oliver Heinzle. „Gut möglich, dass die einen oder anderen Häuser im Zuge der Bestandsaufnahme übersehen wurden.“ Eine Recherche von Philipp Hofer, Student der Raumplanung an der Technischen Universität Wien, bildete den ersten Schritt zur aktuellen Ausstellung. Dieser radelte 2019 durch Lustenau und erfasste alle Häuser, die augenscheinlich einen Stickereibezug aufweisen und eine gewerbliche Nutzung hatten.
Auf zwei Ebenen kann im Dock 20 nun in die lange Tradition der Stickerhäuser eingetaucht werden. Über 400 aktuelle Fotografien von Lukas Hämmerle und Max Fetz begleiten die Besucher chronologisch nach Baujahr durch den Galerie-Rundgang. Die zweite Ebene bilden einzelne Stationen, auf der Einsicht in historische Dokumente und Bauakten geboten wird. Begleitend zur Ausstellung erschien ein umfassender Katalog mit sämtlichen Ausstellungsinhalten, grafisch gestaltet durch Daniela Fetz.
Vom Webkeller zum Sticklokal
Bereits im Jahr 1840 ist in der Schweiz die erste serienreife Handstickmaschine entwickelt und die ersten zwei Handstickmaschinen Vorarlbergs 1869 in der Kapellenstraße 7 in Lustenau aufgestellt worden. Aufgrund der guten Verdienstmöglichkeiten investierten bald viele Lustenauer in diese Maschinen. Zehn Jahre später wurden bereits 333 Stickereiproduktionsstandorte gezählt. Viele bereits vorhandene Webkeller in den Bauernhäusern wurden von nun an als Sticklokale genutzt oder es wurden neue Sticklokale an bestehende Wohngebäude angebaut.
Große Fabriken gab es in Lustenau allerdings kaum, sondern viele kleine Produktionsstätten mit selbstständigen Lohnstickern. Mit 476 Stück standen im Jahr 1880 rund ein Drittel der in Vorarlberg betriebenen Handstickmaschinen in Lustenau. „Oftmals wurde auch zuerst ein Sticklokal gebaut und später durch einen Wohnraum im oberen Stock erweitert“, berichtet Heinzle. Auch wenn das Hauptaugenmerk der Schau auf den kleinen Produktionsstätten mit den vielen selbstständigen Lohnstickern liegt, wird auch die Nachnutzung einiger ehemaliger Fabriken thematisiert und mit alten Bauplänen aus dem Bauarchiv der Marktgemeinde Lustenau veranschaulicht.

Besonders interessant sei es, so Dock-20-Leiterin Claudia Voit, dass in der Ausstellung nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart abgebildet werde. „Dem aktiven Sehen wird damit auf die Sprünge geholfen. Das Spannende daran ist, dass ein Bewusstsein für Objekte geschaffen wird, die man vorher zum Teil eher diffus wahrgenommen hat, wenn man durch Lustenau gefahren oder spaziert ist.“ Genaues Hinsehen lohnt sich also.
Die Ausstellung ist bis 18. April 2021 im Dock 20 zu sehen, geöffnet Fr, Sa, Sonn- und Feiertage, 15 bis 19 Uhr. Infos und Rahmenprogramm: www.lustenau.at/dock20