Türkis-grüne Reformen
Um die zunehmenden Verdauungsbeschwerden der Grünen mit Aktionen ihres türkisen Regierungspartners etwas zu lindern, ist die ÖVP zum Ausgleich auf zwei schon lange betriebene grüne Forderungen eingeschwenkt. Das Amtsgeheimnis wird abgeschafft und das Weisungsrecht des Justizministers gegenüber den Staatsanwaltschaften auf eine unabhängige Bundesanwaltschaft übertragen. So weit, so gut. In der Praxis wird sich aber nichts Gravierendes ändern. Für die Informationsfreiheit gibt es weiterhin die schon bisher bekannten Ausnahmen (seit einiger Zeit angereichert um den Datenschutz), es werden aber Auskünfte beschleunigt und die Rechte der Interessenten verbessert. Bei den in letzter Zeit in Wien bekannt gewordenen Ungereimtheiten bei Staatsanwaltschaften waren allerdings nicht Ministerweisungen das Problem (die schon vor einiger Zeit zudem einem unabhängigen Expertengremium übertragen wurden). Vielmehr hat sich die Beamtenschaft selbst behindert und bekriegt.
„Das Drüberfahren wäre kein Dienst an der Rechtsstaatlichkeit.“
Im Gegenzug hat die ÖVP drei eigene Vorhaben zur Diskussion gestellt, offenkundig ohne darüber mit dem Koalitionspartner verhandelt zu haben. Wenn Medien über Ermittlungsakten berichten, soll das strafbar sein. Dabei handelte es sich bisher in der Regel um politische Vorgänge öffentlichen Interesses, nicht etwa um Vorwürfe aus der Privatsphäre. Auch wenn bei manchen Medien journalistische Eitelkeit eine Rolle spielen mag, ist es bei diesen Berichten in der Regel eine Art politischer Notwehr gegen Vertuschen und Vernebeln. In einem zweiten Schritt soll die lästig gewordene und beim Kanzler in Ungnade gefallene Korruptionsstaatsanwaltschaft nicht endlich personell besser ausgestattet, sondern zerschlagen werden.
Und schließlich soll beim Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit eingeführt werden, dass überstimmte Richter ihre abweichende Meinung öffentlich darlegen können. Zwar müssen sich die Verfassungsrichter persönlich nicht fürchten (sofern nicht wie in Polen die Verfassung geändert wird), weil nur das 70. Lebensjahr einen Amtsverlust bewirken kann. Bei unserer politischen Unkultur ist aber absehbar, dass sich die Verfassungsrichter regelmäßig outen müssen und unter Druck von Interessensgruppen geraten. Zudem wird die Akzeptanz von Entscheidungen davon abhängig gemacht werden, ob sie einstimmig (das ist die Regel) oder beispielsweise in gesellschaftspolitischen Fragen mit knapper Mehrheit getroffen wurden. Dass die Transparenz für die nachfolgende wissenschaftliche Erörterung wichtig wäre, geht ins Leere, weil das Für und Wider ja ohnedies auf dem Tisch liegt und seit jeher breit diskutiert wird. Nachdem der Verfassungsgerichtshof selbst einer solchen Reform ablehnend gegenübersteht, wäre das Drüberfahren kein Dienst an der zumindest verbal ohnedies schon stark strapazierten Rechtsstaatlichkeit.
Jürgen Weiss
juergen.weiss@vn.at
Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.
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