Unsichere Zeiten
Dass bei den Landtagswahlen die CDU stark und die SPD (trotz der siegreichen Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz) leicht verloren haben, dürfte wohl bundespolitische Ursachen haben. Beiden Regierungsparteien in Berlin wurde die Rechnung für Unzufriedenheit mit der Bewältigung der Corona-Pandemie präsentiert, der Kanzlerpartei naturgemäß stärker, noch verschärft durch skandalöses Verhalten einzelner Bundestagsabgeordneter. Durchgehend profitiert haben die bundespolitisch unbelasteten Grünen, während die rechtsextreme AfD aus der Corona-Unzufriedenheit keinen Nutzen ziehen konnte, sie hat es mit der politischen Instrumentalisierung wohl übertrieben. Ein ähnliches Schicksal könnte bei uns der FPÖ drohen, weil die Leute zwischen Protest einerseits und Agitation mit Abgrenzungsproblemen zu rhetorisch oder körperlich gewalttätigen Gruppen andererseits durchaus unterscheiden können.
„Vertrauensbildend sind solche Auseinandersetzungen nicht.“
Ob bei uns die nächste Nationalratswahl tatsächlich erst im Herbst 2024 stattfindet, wird von immer mehr politischen Beobachtern nicht mehr als sicher angesehen. Zu kurz aufeinander folgen in letzter Zeit öffentliche Auseinandersetzungen der Regierungsparteien. Nervosität wegen der in einem halben Jahr in Oberösterreich stattfindenden Landtagswahl allein kann nicht die Ursache dafür sein, dass dem Bundeskanzler die zentrale Steuerung des öffentlichen Erscheinungsbildes (Message Control) nicht mehr so gut gelingt wie bisher gewohnt.
Jüngstes Beispiel ist die Kritik des Bundeskanzlers an der Beschaffung und Verteilung von Corona-Impfstoff durch die EU, der die Generalsekretärin des grünen Gesundheitsministeriums deutlich widersprochen hat. Das wiederum veranlasste die ÖVP, postwendend deren Suspendierung zu fordern. Das ist eine Maßnahme, die üblicherweise nur bei Verdacht auf ein schweres Dienstvergehen erfolgt, für das aber – abgesehen vom öffentlichen Widerspruch – kein Anhaltspunkt bekannt ist. Vertrauensbildend sind solche Auseinandersetzungen jedenfalls nicht, zumal die staatlichen Corona-Maßnahmen auf immer mehr Misstrauen stoßen. Dazu trägt maßgeblich bei, dass man auch als aufmerksamer Beobachter langsam den Überblick verliert, was wo gerade zu beachten ist, abgesehen von den weder notwendigen noch erklärbaren regionalen Unterschieden in der Impfstrategie. Dass Deutschland ähnliche Probleme hat, ist nur ein schwacher Trost. Allerdings ist dort die 7-Tage-Inzidenz mit 79 weit unter den 209 von Österreich. Dass Vorarlberg mit nur 68 versuchsweise einen Spielraum für Lockerungen bekommen hat, kann man nur mit der chinesischen Redewendung kommentieren: Möge die Übung gelingen.
Jürgen Weiss
juergen.weiss@vn.at
Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.
Kommentar