Kurzsichtig
Die Österreichische Volkspartei strahlt seit dem “Projekt Ballhausplatz”, der innerparteilichen Machtergreifung des heutigen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, in neuem Antlitz als “Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei”. Was der Name zu verheißen mag, so ist die Partei gestrickt. Alles läuft sternförmig auf eine Person, auf seine Person, zu: Sebastian Kurz. Er ist Erfolgsbringer, er ist der Mächtige. Für die Partei systemrelevant, längst ,too big to fail’.
Man erinnere sich zurück an die Forderungen des Sebastian Kurz, die er bei der Übernahme der verzopften ÖVP vor gar nicht allzu langer Zeit, im Mai vor nur vier Jahren, durchsetzte: Sechs der sieben Bedingungen waren der Tatsache gewidmet, dass er allein das Sagen hat und nicht etwa der Parteivorstand oder die damals mächtigen Länderorganisationen.
Die Partei ist auf ihn zulaufend konstruiert. Minister werden von ihm eingesetzt, hängen von ihm ab, entwickeln deshalb weniger Eigenständigkeit, als man das von früheren Ministern kennt. Folglich war das Bild nach außen zunächst wohltuend einheitlicher, dann zu perfekt – und jetzt alles andere als makellos.
Dass weder Sebastian Kurz noch sein engster Vertrauter, Finanzminister Gernot Blümel, den Untersuchungsausschuss, vielleicht auch die Justiz und jedenfalls die Opposition ernst genug genommen haben, war extrem kurzsichtig. SPÖ und Neos haben mit Kai Jan Krainer und Stephanie Krisper zwei Abgeordnete, die die Bühne des U-Ausschusses mit Leidenschaft nutzen. So gut, dass sich die ÖVP offenbar nicht mehr anders zu helfen weiß, als Dossiers über sie anlegen zu lassen.
Die Grünen wollen zwar auch mitspielen, bleiben trotz großem Engagement von Nina Tomaselli jedoch insgesamt schaumgebremst. Das ist durch die Rolle als Koalitionspartner bauartbedingt. Mit Rudi Anschobers Rücktritt haben die Grünen ihren Star just an jenem Punkt verloren, ab dem es mit allen Pandemiefragen besser wurde und Entspannung kam. Jener grüne Flügel, der immer noch gern Oppositionspartei wäre, verwirklicht sich im Untersuchungsausschuss als Aufdecker an der Leine – denn insgesamt ist die Parteiführung zum Ministrieren verdammt. Wenn es hart auf hart geht, müssen die Grünen dem politisch stark angeschossenen Finanzminister Gernot Blümel ebenso die Stange halten wie Sebastian Kurz. Bis, ja bis sie die Reißleine ziehen.
Wer den Bundeskanzler kennt, weiß, wie er die Welt gern einteilt: entweder du bist für uns oder gegen uns. Damit geht eine durchaus überschaubare Kritikfähigkeit einher. Es sind besonders schwierige Zeiten für einen Bundeskanzler, der mehr als jeder vor ihm im Mittelpunkt steht und damit auch geliebt werden will.
Die Domino-Steine stehen in der Regierung so eng, dass Gernot Blümels Schicksal unweigerlich mit jenem von Sebastian Kurz verbunden ist. Blümel ist dem Kanzler so nah, dass sein Fallenlassen das eigene politische Ende besiegeln würde. Und so gibt es nur eine Richtung: mit dem Kopf durch die Wand. Zwischenzeitlich noch weniger für politische Ziele als sonst, sondern immer öfter für den puren politischen Selbsterhalt.
Solange erstens die Grünen als Regierungspartner weiterhin gute Miene machen, zweitens Kurz parteiintern noch nicht mal ein Mailüfterl entgegenweht, wird der Bundeskanzler keine Notwendigkeit zur Kursänderung sehen.
Kommentar