Etwas lernen ist immer gut
Leser Hans J. hat mich für meine Jahreswechsel-Kolumne kritisiert, in der ich euch einen guten Rutsch gewünscht habe. Er meinte, ich sollte wissen, dass „Rutsch“ in diesem Fall eine Verballhornung des hebräisch-jiddischen Wortes „Rosch“ sei, was „Anfang“ bedeute. Tatsache ist: Ich wusste es nicht. Aber jetzt weiß ich es und bin froh, dass ich etwas gelernt habe, also: danke Leser J., diesen Fehler mache ich nicht mehr.
Ich könnte stattdessen natürlich zurück maulen: Ja, aber so haben wir schon immer geredet, wieso soll das jetzt falsch sein, es ist ja nicht antisemitisch oder abwertend gemeint oder so. So ähnlich, wie es die Gegner:innen einer geschlechtergerechten Sprache gerne tun. Diese neuen Formen, die Frauen nicht nur mitmeinen, sondern mitschreiben und mitsprechen: gefällt ihnen nicht, finden sie hässlich und umständlich. Und: Für sie hat es ja funktioniert, also, wieso etwas ändern.
Darum: Weil es für viele andere, zum Beispiel für Frauen, nicht funktioniert. Es behindert und benachteiligt sie: Gut, dass sich jetzt was ändert. Wer will, dass Frauen endlich gleiche Rechte bekommen, gleiche Chancen, gleiche Löhne, muss etwas dafür tun. Das ist natürlich unbequem – aber Bequemlichkeit ist hier auch nicht das Thema.
Wir sollten das Urteil, ob etwas sexistisch ist, rassistisch oder antisemitisch, einfach denen überlassen, die davon betroffen sind. Frauen wollen sich nicht mehr von Männern erklären lassen, was sexistisch ist und was nicht: Sie wissen das aus der Erfahrung ihres Lebens besser. Schwarze Menschen oder PoC (People of Color) wollen nicht hören, dass etwas nicht rassistisch gemeint sei: Wenn es von Menschen mit Rassismus-Erfahrung als rassistisch empfunden wird, wenn Jüdinnen und Juden Antisemitismus wahrnehmen, dann kann man getrost akzeptieren, dass es auch so ist. Und sich einfach danach richten.
Ich wünschte mir, viel öfter die Worte zu hören: Ja, ich habe verstanden. Oder auch: Ich verstehe es nicht ganz, weil ich es nicht erlebt habe, aber ich respektiere deine Erfahrungen und überlasse dir deshalb in dieser Debatte die Führung.
„Wir sollten das Urteil, ob etwas sexistisch ist, rassistisch oder antisemitisch, einfach denen überlassen, die davon betroffen sind.“
Veränderung ist anstrengend: Man muss das eigene Verhalten überdenken, adaptieren und umstellen; auch beim Sprechen und beim Schreiben. Und das kann lästig sein, ungewohnt und erstmal nicht so schön.
Aber, das habe ich in den vielen Jahren als Autorin auch gelernt: Sprache besteht nicht aus Stahlbeton. Sie verändert sich, sie muss sich verändern, weil sie sonst ihre Kommunikationsfunktion verliert und die Fähigkeit, die Gegenwart zu beschreiben und begreifbar zu machen. Verändern wir uns mit – und lernen wir etwas Neues, das ist immer gut.
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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