Aus für Schmusekurs
Der frühere Bundeskanzler Julius Raab warnte während der Staatsvertragsverhandlungen, man solle den russischen Bären nicht in den Schwanz zwicken. Das hat sich damals bewährt, in ganz Europa Nachahmung gefunden und zur Entspannung beigetragen. Man begann dann allerdings, den Bären nicht nur nicht zu zwicken, sondern zu kraulen. Besonders gut sichtbar wurde dieser Schmusekurs in Österreich 2014, als unmittelbar nach den Olympischen Winterspielen in Sotschi Russland begann, sich die Krim einzuverleiben und kriegerische Auseinandersetzungen in die Donbass-Region der Ukraine zu tragen. Es dauerte nur wenige Wochen, dass Österreich als erstes EU-Land Präsident Putin in Wien mit Standing Ovations in der Wirtschaftskammer den roten Teppich ausrollte. Unrühmlicher Höhepunkt war 2018 der Hofknicks der damaligen Außenministerin Kneissl beim Hochzeitsbesuch Putins, für den sie dann später in Form eines Aufsichtsratsmandats beim russischen Energieriesen Rosneft ein fürstliches Trinkgeld bekam.
„Man kann nur hoffen, dass er nicht völlig taub geworden ist.“
Aus dem beruhigenden Brummen des russischen Bären (1990 erhielt Präsident Gorbatschow sogar den Friedensnobelpreis) ist unter Putin ein aggressives Fauchen, ja sogar ein mutwilliger Überfall auf ein Nachbarland geworden. Kaum einmal hat sich ein Mann vor den Augen der Welt derart demaskiert und sich selbst als Lügner entlarvt. Wie willkürlich seine Argumente sind, zeigt sich an dem Vorwurf, die Nato sei zu stark an Russland herangerückt. Mit der politischen Unterwerfung von Belarus und dem Überfall auf die Ukraine bestätigt er allerdings alle, die sich aus Furcht unter den Schirm der Nato geflüchtet haben. Und dass Russland die nie russisch gewesene und in Litauen liegende Region Kaliningrad seit 1945 als Enklave einfach besetzt hält und zu einem unmittelbar an der polnischen Grenze liegenden bedeutenden militärischen Stützpunkt samt Raketen ausgebaut hat, ist aus russischer Sicht natürlich keinerlei Grund zur Beunruhigung.
Auch wenn sich die Kriegsbegeisterung der russischen Bevölkerung offenkundig in Grenzen hält, dürfte Putin selbst bei vielen eigenen Todesopfern keine unmittelbare innenpolitische Gefahr drohen. Da funktioniert der Einschüchterungsapparat einfach noch zu gut. Eng kann es allerdings werden, wenn die luxusverwöhnten und ihren Wohlstand gerne im Ausland genießenden Oligarchen und sonstigen Wohlhabenden im Umfeld Putins in einer Nähe zum Kreml plötzlich mehr Nachteile als Vorteile sehen. Daher war es wichtig, ihnen zu signalisieren: keine Luxusreisen mit dem Privatjet ans Mittelmeer, kein Schiurlaub in den Alpen, keine lukrativen Geldgeschäfte. Es ist wichtig, dass sich die EU und viele Staaten darüber hinaus (darunter hoffentlich bald auch die geschäftsbeflissene Schweiz) relativ zügig für erstmals wirklich harte Sanktionen entschlossen haben. Das und die Entschlossenheit der Nato dürften auch die einzige Sprache sein, die Putin versteht. Man kann nur hoffen, dass er nicht völlig taub geworden ist.
Jürgen Weiss
juergen.weiss@vn.at
Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.
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