Blut
Ein fortschrittlicher Kunstlehrer besorgte sich die Erlaubnis der Eltern, um mit seinen Schülern das Nitsch-Museum zu besuchen. Er hatte vorher ausführlich über Nitsch gesprochen – die Schüler waren interessiert, gelangweilt und auch abgestoßen von der Arbeit des Künstlers. Sie fanden es eklig, einen lebenden Menschen mit Verband den Kopf zu umwickeln, um dann Blut und aufgeschlagene Eier über ihm auszuschütten. Der Lehrer bemühte sich sehr um ein Verständnis. Er verehrte den Künstler. Dessen Schüttbilder, Leinwände, die mit Blut angeschüttet wurden, belachten ein paar freche Schüler, sie fanden, das könnten sie auch, und wenn man dazu noch Geld bekäme … Nicht alle Eltern hatten es ihren Kindern erlaubt, das Museum zu besuchen. Sie fanden, ihre Kinder könnten einen Schock davon tragen.
„Die geschlachteten Tiere, deren Leiber ausgeweidet wurden, die herausdringenden Gedärme, das alles wollte er verstehen.“
Es gab einen Buben, der von Nitsch fasziniert war, Erstens von ihm als Geschäftsmann, und zweitens, dass ein Mensch sich traute, so eine Kunst zu machen. Er fand es wert, dass sich dieser dann Künstler nannte. Der Bub wohnte mit seinen Eltern auf einem Bauernhof, und einmal nagelte der Bub einen Rahmen zusammen, bespannte ihn mit einem Leintuch seiner Mutter und goss Schweineblut, das von einer Schlachtung übrig geblieben war, darauf. Dafür bekam er Prügel. Für diese Sauerei, hieß es. Oft hatte der Bub Nasenbluten, und er blutete ein Taschentuch über und über voll, so dass es nur mehr rot war, dann sich aber leider in Braun verfärbte. Dieses Taschentuch wollte er dem Künstler mitbringen. Als es hätte dazu kommen können, traute er sich nicht, weil das Taschentuch gar nicht mehr nach Blut aussah, da hätte er Erklärungen abgeben müssen, was er sich nicht zutraute. Auch fürchtete er sich vor der Verspottung seiner Mitschüler.
Der Künstler Nitsch war damals gesundheitlich noch gut zuwege gewesen – er machte Späße mit den Schülern, erzählte Witze und gab ihnen verdünnten Wein zu trinken und Schwarzbrot mit Grammelschmalz.
Der Bub schrieb einen Aufsatz mit dem Titel Das denkende Fleisch. Er hatte bei den Ausführungen des Künstlers gut aufgepasst und konnte sich seiner Faszination nicht entziehen. Die geschlachteten Tiere, deren Leiber ausgeweidet wurden, die herausdringenden Gedärme, das alles wollte er verstehen. Es waren dargebrachte Opfer, die auf die Auferstehung warteten, ein neuer Zugang, der nichts mit der Landwirtschaft zu tun hatte. Ganz gelang es dem Bub nicht, das alles zu verstehen.
Einige Jahre später ging er zum Fest des Orgien Mysterien Theaters und entschied sich, auch ein Künstler zu werden. Er hatte mit Nitsch gesprochen, und der sagte ihm: „Schau, du musst nichts verstehen, du musst es nur fühlen, und kannst du es fühlen, bist du zum Künstler geboren.“
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