Hanno Loewy

Kommentar

Hanno Loewy

Gruben und Abgründe der Ukraine

VN / 28.04.2022 • 06:30 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Seit zwei Monaten ist Krieg in der Ukraine. Und immer wieder starre ich auf den Bildschirm, lese Nachrichten, versuche mir vorzustellen, was dort geschieht.
Vor bald 15 Jahren bin ich einmal dort hingereist, auf den Spuren meines Großvaters, der im Herbst 1941 am Stadtrand von Lemberg in eine Grube geschossen wurde. Die Grube kann man heute noch besichtigen. Im Moment interessiert sich niemand für sie.

Es gibt neue Gruben zu besichtigen. Eine der vielen Realitäten, mit denen wir uns jetzt auseinandersetzen müssen.

Jahrelang haben wir unsere Gier nach Energie auf billige Weise befriedigt. Und nicht zur Kenntnis genommen, dass aus dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht nur liberale Demokratien hervorgegangen sind, sondern vor allem etwas anderes: die Wiedergänger nationaler Ethnokratien, die aus den schon 1914 zerfallenen Großreichen hervorgegangen sind. Vor allem hat sich niemand dafür interessiert, dass auch im russischen Reich ein rassistischer Imperialismus entstanden ist. Den Grundstein dazu hat Putin in seinem Krieg in Tschetschenien gelegt. Nicht zufällig waren Muslime das dankbare Objekt für diese gewaltsame Neuerfindung Russlands. Nun treibt diese russische Erneuerung ihre offenen Rechnungen ein. Ganz so billig ist das Gas aus Russland doch nicht gewesen.

„Vor allem hat sich niemand dafür interessiert, dass auch im russischen Reich ein rassistischer Imperialismus entstanden ist.“

Darauf nun mit hysterischen gegenseitigen Vorwürfen zu reagieren, wie es die deutsche Politik gerade vormacht, mit dem Aufrechnen von Panzern und Raketen, lenkt doch nur davon ab, worum es eigentlich geht: um die mangelnde Bereitschaft der europäischen Staaten, ihre Eigenbrötelei zu lassen und gemeinsam endlich souverän zu werden. Zum Beispiel souverän genug, um auf den Autobahnen nicht mehr herumzurasen als gäbe es kein Morgen. Stattdessen reist der österreichische Kanzler nach Moskau, um sich darum zu kümmern, dass weiter Gas geliefert wird. Oder glaubt wirklich jemand daran, dass Karl Nehammer in Moskau war, um Waldimir Putin die Genfer Menschenrechtskonvention zu erklären?

In ein paar Monaten wird es einen Waffenstillstand geben. Putin wird einen Teil der Ukraine schlucken, die verbrannte Beute in ein paar Pseudokleinstaaten aufteilen, das Ganze als Sieg verkaufen. Und die Gräte wird ihm und Russland im Hals steckenbleiben, denn zurück führt kein Weg. An der Demarkationslinie werden dann weiter Gewalt und Hass, gegenseitiger Rassismus und nationale Größenfantasien gezüchtet. Und wieder Gas und Öl geliefert?