Hey, es ist Sonntag!
Niemand mäht in diesem Ort am Sonntag, außer meinem Nachbarn vis-à-vis. Seit Jahren. Ein Wochenend-Häusler, längst in Pension, er könnte unter der Woche kommen, um seinen Rasen zu mähen, aber er macht es am Sonntag, wenn man mit Freundinnen im Garten sitzt, die eben mit dem Fahrrad durch die Hitze angeradelt kamen. Der Nachbar fährt mit seinem Rasentraktor um seine Büsche herum, mit Schwung, es macht ihm Spaß. Mir nicht; man hört kein Vogelgezwitscher und nicht das Knistern der Eiswürfel im Glas, wie es sich an einem heißen Sommersonntag mit Freundinnen gehört.
„Der Nachbar bemerkte mich endlich, blickte kurz zu mir herüber, startete dann seinen Rasenmäher wieder an und mähte ungerührt weiter.“
Heute hat es mir gereicht, ich bin aufgestanden und habe zu ihm hinüber gebrüllt. Danach habe ich mir gedacht, ich hätte es freundlicher formulieren können, aber ein breiter, rauschender Bach trennt unsere Grundstücke. Man unterhält sich nicht über einen lauten Fluss hinweg, nur seine Frau winkt immer freundlich herüber und ich winke freundlich zurück.
Ich rief also hinüber. Also, ich brüllte. Das Rauschen des Bachs, der Rasenmäher, ich musste sehr laut brüllen, bis er mich endlich gehört hat. Hallo! Heyyy! HEEEYYYYYY!!!!! Als er mich endlich hörte, weil ihm zufällig gerade der Mäher abstarb, war ich von meinem Gebrüll und seinem elenden Lärm schon so zornig, dass für eine heitere Ansprache leider keine Basis mehr vorhanden war. Ich brüllte also „Hey, es ist Sonntag!! Was ist das für eine verdammte Rücksichtslosigkeit!!!“ Der Nachbar bemerkte mich endlich, blickte kurz zu mir herüber, startete dann seinen Rasenmäher wieder an und mähte ungerührt weiter. Noch dreimal um die Büsche herum, zweimal um die Feuerschale, dann fuhr er zu seiner Garage und dann war es endlich still. Sommersonntagsstill, mit Vogelgezwitscher.
Vielleicht hat der Nachbar einfach fertig gemäht, aber vielleicht hat die Tatsache, dass sich nach all den Jahren einmal jemand aufgeregt hat, doch daran erinnert, dass sonntagsmähen eigentlich nicht geht.
Und so läuft es doch. Ich will jetzt nicht päpstlicher sein als der Papst, ich baue genug Mist, aber es läuft doch so: Die Leute machen etwas, von dem sie wissen, dass es eigentlich nicht okay ist, aber dann sagt überraschenderweise niemand was, keiner regt sich auf. Also machen sie es noch einmal, und dann wieder, und vielleicht machen sogar noch ein paar andere auch mit, und dann wird es eine jahre-, jahrzehntelange Gewohnheit – irgendwie glauben sie dann plötzlich, es sei normal, ja sogar korrekt oder völlig legal. Haben wir immer so gehalten, was soll jetzt uffamol daran falsch sein? Hmmm. Bin schon gespannt, ob der Nachbar nächsten Sonntag wieder mäht.
Doris Knecht
doris.knecht@vn.at
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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