Das kleine Glück des Alltags
Das versöhnte die zerknitterte Frau mit ihrem Alltag. Das kleine Glück. So viel hatte sie in ihrem langen Leben überstehen müssen, dass sie um das Kleinste froh war. Ihr Hund, der ihr von allem geblieben war, lag im Sterben. Aber immerhin war er noch nicht tot. Sie lud ihn in ihr Auto und fuhr mit im in die Höhe, wie man es mit Lungenkranken tut, an die gute Luft. Dort ließ sie ihn ein paar Schritte neben sich hergehen. Schwächelte er, nahm sie ihn auf den Arm und trug ihn auf eine weiche Decke, die sie im Gras ausgebreitet hatte. Sie hatte kleingeschnittene Leber in einer Dose, die blutete noch, so frisch war sie. Ein paar Brocken aß der Hund, dazu schluckte er vom Quellwasser. Sie sprach mit dem Hund – er war geduldiger als es ihr Mann je gewesen war, geduldiger als der Sohn, der sich nur ein Mal im Jahr an sie erinnerte, wenn überhaupt. Hätte ich doch nur so einen Gefährten gehabt!
„Ihr Hund, der ihr von allem geblieben war, lag im Sterben.“
Als Kind hatte ihr Vater, ein viraler Mensch, der seine Frau vernachlässigte und sich mit anderen Frauen wohlfühlte, also der, der seine Tochter liebte, von dem hatte sie ein Hündchen geschenkt bekommen. So eines mit zartem Fell. Seine Ehefrau war eifersüchtig, weil sie die Zuneigung spürte, die der Vater damit seiner Tochter zeigen wollte, und sie gab dem jungen Hund nichts zu fressen, wenn die Tochter einmal nicht da war. Die jedoch schaute gut auf ihr Hündchen. Einmal war das Mädchen in einem Ferienlager, und das Hündchen lief verzweifelt herum, weil es nichts Fressbares fand. Es schlich um die Häuser und schnappte fremdes Katzenfutter, immer magerer wurde es, und bald konnten seine Füßchen es nicht mehr tragen. Als die Tochter vom Ferienlager wieder nach Hause gekommen war, suchte sie ihr Hündchen und fand es nicht. Die Mutter sagte, es sei verreckt. Da schrie das Mädchen und wollte ihr Hündchen sehen, so tot wie es war. Aber, sagte die Mutter, den toten Hund musste ich entsorgen. Seitdem hüpfte das Herz der Tochter, wenn sie einen Hund auf der Straße sah. Sie wusste, sie durfte keinen mehr haben. Der Vater wollte ihr einen neuen Hund besorgen, aber sie wusste, ihre Mutter würde ihn nicht am Leben lassen. Er müsste wieder sterben. Dieses Wissen beleidigte das Mädchen, und sie rächte sich ein klein wenig, indem sie der Mutter ihre heißgeliebten Topfpflanzen ruinierte. Nur ein klein wenig, aber so, dass sie mit der Zeit eingingen, als hätten sie eine unentdeckte Krankheit gehabt.
Und jetzt, nach einem Leben voller Sehnsucht nach so einem Tier, sah die zerknitterte Frau auf ihren sterbenskranken Hund. Sie schlang die Arme um ihn und flüsterte in sein Ohr. Als es eindunkelte, trug sie ihn ins Auto, deckte ihn zu und sie fuhren ins Tal. Er lebte noch.
Monika Helfer
monika.helfer@vn.at
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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