Tröpfelnde Sanktionen gegen Oligarchen zeigen kaum Wirkung

Die Strafmaßnahmen gegen russische Oligarchen sind zu selektiv, um Druck aufzubauen, sagt eine Russland-Expertin.
Wien, London Nach wochenlangen Kämpfen haben russische Truppen nach eigener Darstellung die ostukrainische Bastion Lyssytschansk erobert und damit die Kontrolle über die gesamte Region Luhansk übernommen. Dort lebten vor Beginn des Kriegs mehr als 100.000 Menschen. Verteidigungsminister Sergej Schoigu informierte Präsident Wladimir Putin offiziellen Angaben zufolge am Sonntag darüber, dass das ganze Gebiet Luhansk „befreit“ worden sei.
Die Ukraine widersprach hingegen den russischen Angaben. Die Stadt stehe nicht unter vollständiger russischer Kontrolle, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Kiew am Sonntag dem britischen Sender BBC. Die Situation sei seit einiger Zeit jedoch „sehr intensiv“, russische Truppen griffen die Stadt permanent an. Auch aus anderen Landesteilen wurden erneut Kampfhandlungen gemeldet. Russische Truppen gelangen nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau Schläge gegen militärische Infrastruktur im ostukrainischen Charkiw. Im Süden wiederum sei am Rand von Mykolajiw ein Stützpunkt getroffen worden, der von ausländischen Kämpfern genutzt werde.
Wirkungslose Sanktionen
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine dauert inzwischen schon mehr als vier Monate. Ein Hebel, um in den USA und in Europa Druck gegen Präsident Wladimir Putin aufzubauen, wären konsequente Sanktionen gegen russische Oligarchen. Diese Chance blieb jedoch bislang ungenutzt, sagt die Russlandexpertin Elisabeth Schimpfössl den VN. Die Rankweilerin ist Dozentin für Soziologie und Politik an der Aston University in Birmingham und beschäftigt sich unter anderem mit Oligarchen.
Im Februar hat Boris Johnson drei Oligarchen auf die Liste gesetzt, die mit Großbritannien nichts zu tun haben, berichtet sie. Die Liste wurde zwar mittlerweile erweitert, aber, so Schimpfössl: “Mit diesen tröpfelnden, individuellen Sanktionen haben die Leute natürlich angefangen ihre eigene Haut zu retten.” Wäre von Anfang an großflächig sanktioniert worden, hätten sie in gleicher Qualität reagiert, sagt die Wissenschaftlerin: “Es muss eine kritische Masse treffen. Das ist aber nicht passiert.”
Sorge vor Folgen von Sanktionen
Zudem sind zahlreiche russische Milliardäre von Sanktionen bisher weitgehend verschont geblieben. Unter ihnen ist zum Beispiel Wladimir Potanin, wie Schimpfössl berichtet. Mit circa 17 Milliarden Euro ist er laut “Forbes” derzeit der zweitreichste Russe. Der Nickel-Magnat gilt dem Kreml gegenüber als loyal. Mit Strafmaßnahmen ist er jedoch auch deshalb nicht belegt worden, da sein Geschäft als zu wichtig für den Welthandel gilt. “Der weltweite Nickelpreis könnte durcheinanderkommen”, sagt Schimpfössl.
Sanktionen gegen Abramowitsch
Nur Roman Abramowitsch hat stark verloren. Die US-Justiz hat erst jüngst die Beschlagnahmung von zwei Flugzeugen des russischen Milliardärs angeordnet. Laut US-Justizministerium seien die Maschinen für Verstöße gegen die wegen des Ukraine-Kriegs verhängten Russland-Sanktionen verwendet worden. Der Wert der beiden Flugzeuge wird auf insgesamt 374 Millionen Euro geschätzt.
Doch weshalb genau er? Abramowitsch werden enge Verbindungen zum russischen Staatschef Wladimir Putin nachgesagt. Die westlichen Sanktionen wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatten für den Oligarchen vor allem in Großbritannien massive Folgen. “Seine Rolle ist zentral: das Establishment in Großbritannien wollte ihn nicht aufgeben. Aber die Öffentlichkeit in Großbritannien kennt gerade ihn. Er ist wohl der am besten integrierte Oligarch in Großbritannien. Die Regierung Johnson hätte völlig das Gesicht verloren, hätte es keine Sanktionen gegen Abramowitsch gegeben”, sagt Schimpfössl. Mit seiner Verhandlerrolle werde er sich aber schnell wieder rehabilitieren, ist Schimpfössl überzeugt.
Gaslieferungen sollen Thema im Parlament werden
Die Neos wollen nun den russischen Einfluss auf Österreich bzw. die Abhängigkeit (wegen der Gas-Lieferungen) im Parlament thematisieren. Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper fordert die Einberufung des ständigen Unterausschusses des Innenausschusses (“Geheimdienst-Ausschuss”). Auch soll geklärt werden, warum die schwarz-rote Regierung 2015 nicht auf Geheimdienst-Warnungen vor der Nähe von Ex-OMV-Vorstand Rainer Seele zu Putin reagiert habe. Anfragen zu Sanktionsmaßnahmen seien bisher kaum beantwortet worden, so die Neos. Krisper erwartet sich im Rahmen des Ausschusses daher “aktuelle und akkurate Informationen über die Umsetzung der Sanktionen” – etwa zur Beschlagnahmung russischer Oligarchen-Vermögen oder weiterer Ausweisungen von russlandfreundlichen Diplomaten.
Lobbying in vollem Gange
Die Lobbyanstrengungen seien in Großbritannien schon voll im Gange, berichtet Schimpfössl unterdessen. Tenor ist, dass man die Sanktionen wieder lockern sollte. “Meine Prognose ist, dass der Westen nicht ganz zurückrudern kann, aber 90 Prozent werden wohl wieder rehabilitiert und wieder in das alte System eingegliedert werden”, so Schimpfössl.
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.