Wie wirkt sich die Abschaffung der kalten Progression auf mein Gehalt aus?

Das Gesetz ging in Begutachtung. Die Steuerzahler profitieren unterschiedlich. Es gibt jedoch auch kritische Stimmen.
Wien “Ein historisches Gesetz”, so bezeichnet Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) die Abschaffung der kalten Progression. Viele Regierungen haben darüber jahrzehntelang diskutiert, nun soll es passieren. Das Gesetz geht ab Freitag in die Begutachtung. Brunner hofft auf große Zustimmung im Parlament. Die kalte Progression ist eine faktische Steuererhöhung, die sich durch die Inflationsanpassung ergibt. Grund dafür ist, dass die Tarifstufen nicht automatisch an die Inflation angepasst werden, mit der jährlichen Lohnerhöhung aber häufig die nächsthöhere Steuerklasse fällig wird. Damit soll nun Schluss sein. Zwischen 1. Jänner 2023 und 2026 erhalten die Österreicherinnen und Österreicher dadurch 18 Milliarden Euro, die sie durch die kalte Progression eigentlich in die Staatskassen gezahlt hätten.
Wie viel spart sich der Steuerzahler schon im kommenden Jahr?
Zwei Drittel der 1,8 Milliarden Euro im kommenden Jahr sollen direkt und automatisch an die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zurückgegeben werden.
Aber das ist dann keine 100-prozentige Abschaffung. Was passiert mit dem weiteren Drittel?
Die restlichen rund 600 Millionen Euro sollen im Jahr 2023 besonders Erwerbstätige sowie Pensionistinnen und Pensionisten entlasten, heißt es vonseiten des Finanzministeriums. Franz Schellhorn, Leiter der Agenda Austria, beurteilt das Vorhaben positiv: „Das ist besser als die alte Lösung, als man sich alle paar Jahre für eine Steuerreform feiern ließ, obwohl nur die kalte Progression zurückbezahlt wurde. Denn ohne Maßnahmen wachsen die Mehreinnahmen für den Fiskus automatisch. 2023 würde sich das wegen der heuer so hohen Inflation mit drei Milliarden auswirken, bis 2025 wären es ohne die Abschaffung in Summe 13 Milliarden Euro.”
Wie wurde dieses Modell erstellt?
Die Wirtschaftsinstitute WIFO und IHS haben die Berechnungen durchgeführt, die zu der Entscheidung des Zwei-Drittel-Ausgleiches geführt haben. Dabei wurden die Inflation sowie die Verteilung der Einkommen prognostiziert. Verglichen wurden Szenarien, in denen der volle Betrag, gar nichts, oder eben zwei Drittel davon direkt wieder zurückbezahlt werden.
Wie schlägt sich die kalte Progression auf mein Einkommen nieder?
Franz Schellhorn legt ein Beispiel für eine Person mit einem Einkommen von 2000 Euro Bruttomonatslohn vor: Die kalte Progression belastet mit 125 Euro für das Jahr 2022, 402 Euro für das Jahr 2023, 660 für das Jahr 2024 und 789 Euro für das Jahr 2025. Für den Zeitraum 2022-2025 beträgt die Belastung insgesamt 1977 Euro. Bei 3000 Euro Bruttolohn liegt die Belastung, sprich auch die mögliche Ersparnis durch die Abschaffung, bei 125 Euro 2022, 638 Euro 2023, 1074 Euro 2024 und 1290 Euro 2025.
Wie profitieren Selbstständige?
Für Selbstständige wird es ab September einen Absatzbetrag von 500 Euro geben.
Welche Kritikpunkte gibt es?
Jakob Sturn vom Momentum Institut kritisiert, dass Menschen mit geringem Einkommen weniger profitieren. Relativ profitiert das vierte Fünftel, also die obere Mittelschicht, am stärksten. Ein durchschnittlicher Haushalt im vierten Fünftel hat in Zukunft 0,94 Prozent seines Einkommens mehr zur Verfügung. Im untersten Fünftel sind es nur 0,41 Prozent. Höhere Einkommensschichten können die Teuerung aber viel leichter stemmen, weist Sturn hin. “Mit der Automatisierung dieses Prozesses beraubt sich die Regierung eines wichtigen Gestaltungsspielraums, auch zur zukünftigen Krisenbewältigung. Mit der automatischen Abgeltung der kalten Progression fehlen dem Staat jährlich 1,5 bis 2 Milliarden Euro”, sagt der Ökonom. Er bringt im Zusammenhang mit möglichen weiteren notwendigen Krisenbewältigungen Steuern auf Vermögen, Erbschaften sowie Grund und Boden ins Spiel. Sie liegen in Österreich deutlich unter dem Durchschnitt der Industrieländer, so Sturn.
Welchen Einfluss hat die Inflation darauf, wie viel Geld jeder Einzelne bekommt?
Je höher die Inflation, desto höher die Entlastung durch das neue Gesetz, sagt IHS-Direktor Klaus Neusser. Derzeit gehe man von einer Inflation von knapp acht Prozent aus, und da sei ein möglicher Gaslieferstopp noch nicht eingespeist, so WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr. Die Inflationsrate werde auch in den nächsten Jahren hoch bleiben, die Effekte der Abschaffung der kalten Progression würden damit noch stärker.
Und umgekehrt: Wie wird sich das neue Gesetz auf die Inflation auswirken?
In geringem Maß sei davon auszugehen, dass sich das Gesetz kurzfristig inflationssteigernd auswirke. Das sei jedoch ein “Preis, den es wert ist zu zahlen”, sagt Gabriel Felbermayr. Er betonte, dass die “Mitte der Bevölkerung” von der Abschaffung der kalten Progression am meisten profitieren werde. Für das Jahr 2023 rechnet das WIFO mit Nettolohnsteigerungen von 5,3 Prozent, während die Bruttolöhne nur um 1,3 Prozent steigen sollen.