Dieses Ehepaar erhält den Russpreis 2022

Willi und Ehrentraud Hagleitner werden für vielfältiges Engagement im Dienste der Menschen und der Gemeinschaft geehrt.
Bregenz Einmal ist immer das erste Mal, weiß ein französisches Sprichwort. Heuer trifft es auch auf den Russpreis zu, denn erstmals in seiner 53-jährigen Geschichte wird ein Ehepaar mit dem Dr.-Toni-und-Rosa-Russ-Preis und –ring ausgezeichnet.
Die Ehrung geht an Willi (83) und Ehrentraud (78) Hagleitner aus Bregenz für ihren vielfältigen Einsatz im Dienste der Gemeinschaft. Der Anruf mit der guten Nachricht erreichte die beiden auf dem Weg zum Flughafen in Zürich. Von dort sollte es weiter nach Kreta gehen. Tat es auch, aber eben noch mit einer besonderen Überraschung im Gepäck. „Es war ein guter Start in den Urlaub“, bemerkt Ehrentraud Hagleitner mit einem verschmitzten Lächeln. Die Russpreisverleihung findet am 1. September 2022 im Rahmen einer Festveranstaltung auf der Werkstattbühne des Festspielhauses statt.
In die Wiege gelegt
Die Freude am sozialen Engagement bekamen Willi und Ehrentraud Hagleitner quasi in die Wiege gelegt. Schon die Eltern zeigten sich diesbezüglich sehr aktiv. „So wurde es auch für uns zur Normalität, sich um anderen zu kümmern“, erzählt das Paar, das inzwischen seit 57 Jahren miteinander verheiratet ist. Kennengelernt hat Willi seine Ehrentraud bei einem Sozialeinsatz 1962 im Kinderdorf Au-Rehmen, wo die junge Frau als Familienhelferin arbeitete. Den Heiratsantrag erhielt sie an einem bitterkalten Tag im Februar. „Wir waren im Laternsertal unterwegs, wo wir für den Neubau der Familienhelferinnenschule sammelten“, erzählt Willi Hagleitner. Er nützte die Gunst der Stunde und bat um ihre Hand. „Geküsst hast du mich aber nicht“, schmollt Ehrentraud. „Bei minus 20 Grad wären wir wohl zusammengeklebt“, kontert Willi. Neckereien zwischen zwei Menschen, die sich fürs Leben gefunden haben.

Vorher musste der Bräutigam jedoch noch das schriftliche Einverständnis des Brautvaters einholen, nachdem die Volljährigkeitsgrenze damals noch bei 21 Jahren lag. In Altach, wo Ehrentraud als Familienhelferin tätig war, ließ man die patente Frau ebenfalls nur ungern ziehen. Am 25. September 1965 wurde schließlich geheiratet, ein Jahr später der Stammhalter geboren. Mindestens fünf Kinder wünschten sich die Jungvermählten. Sieben sind es geworden: Martin, Benno, Stefan, Jutta, Kornel, Joachim und Tobias. „Alle kamen zu Hause zur Welt, und es war immer ein Fest und eine große Freude“, bekräftigen Willi und Ehrentraud. Bedingt durch das schon damals vielseitige Engagement des Vaters lag es an der Mutter, die Hauptlast der Familien- und Erziehungsarbeit zu schultern. Willi Hagleitner weiß: „Hätte Ehrentraud mich nicht unterstützt, wäre vieles nicht möglich gewesen.“ Er sagt es mit tiefer Dankbarkeit und einem liebevollen Blick auf seine Frau.

Zugehen auf Menschen
Inzwischen sind bis auf Tobias, der noch studiert, alle Kinder ausgeflogen. Ehrentraud indes ist noch immer das Zentrum der Familie, die mittlerweile um 11 Enkel gewachsen ist. Obwohl der Vater kaum da war, gab es doch Gemeinsamkeiten, die mit Hingabe gepflegt wurden. Dazu gehörten gemeinsame Urlaube, gemeinsame Sonntage und der gemeinsame Mittagstisch. „Das haben die Kinder sehr geschätzt“, erinnert sich Ehrentraud Hagleitner, die uneingeschränkt auch zu ihrem Hausfrauendasein steht. Gleichzeitig war sie ihrem Mann eine einfühlsame Ratgeberin und unterstützte insbesondere seine familienpolitischen Tätigkeiten. Auf diese Weise hat einer den anderen ergänzt. Was beide ebenfalls eint ist das Zugehen auf Menschen. „Begegnungen und Kontakte sind uns wichtig.“ Willi und Ehrentraud Hagleitner sind auch offen für anderes. Das zeigte sich bei der Feier der Goldenen Hochzeit, die interreligiös begangen wurde.

Willi und Ehrentraud Hagleitner werden die 57. und 58. Russpreisträger sein. Bis dato gab es vier Mal zwei Preisträger.
Tabu um psychische Erkrankungen aufgebrochen
Bregenz Ehrentraud Hagleitner wurde 1944 in Lauterach geboren. Nach der Pflichtschule besuchte sie die dreijährige Fachschule für wirtschaftliche Berufe in Marienberg und die zweijährige Familienhelferinnenschule. Zudem absolvierte sie den ersten in Vorarlberg durchgeführten Lehrgang zur Ausbildung von Ehe- und Familienberatern und erwarb damit die Berechtigung zur Ehe- und Familienberatung. Zwei Jahre war sie in diesem Bereich tätig. Sie arbeitete im Vorstand des Vorarlberger Familienverbandes mit und engagierte sich in der Pfarre St. Gallus, die vergangenen drei Jahre als Vorsitzende des Pfarrgemeinderats.
Ehrentraud Hagleitner ist es auch zu verdanken, dass das Tabu um psychische Erkrankungen aufgebrochen wurde. Die eigene Betroffenheit veranlasste sie, gemeinsam mit anderen Frauen und einigen wenigen Männern 1997 den Verein HPE zu gründen. Er bietet Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter. HPE hat sich zum Ziel gesetzt, Angehörige zu stärken, zur Selbstfürsorge zu ermutigen und Optionen für ein gelingendes Miteinander aufzuzeigen. Das ursprünglich auf Vorarlberg beschränkte Projekt wurde alsbald von den anderen Bundesländern übernommen und Ehrentraud Hagleitner zur Österreich-Präsidentin gewählt. In dieser Funktion hat sie wichtige Aufbau- und Aufklärungsarbeit geleistet. Das Zusammenwirken von Betroffenen, Angehörigen und Fachleuten ist dank des engagierten Auftretens von HPE zur Selbstverständlichkeit geworden. Weitere Erfolge sind die Einrichtung des Psychiatriebeirats im Land sowie ein Schulungsprojekt für Polizisten.

Engagement, das seine Handschrift trägt
Bregenz Auch das Leben von Willi Hagleitner war neben seiner Arbeit als Gesellschafter und kaufmännischer Leiter im Familienbetrieb Kiechel & Hagleitner durchgehend von hohem ehrenamtlichen Einsatz in verschiedenen Projekten geprägt, die allesamt auf Hilfe für benachteiligte Menschen abzielten. Sein Hauptwerk war aber wohl die Gründung des Familienverbandes. Ihm stand er auch jahrelang als Geschäftsführer und später als Obmann vor. Ebenso war Willi Hagleitner Mitbegründer und bis 2021 noch aktives Kuratoriumsmitglied der Stiftung Maria Ebene. Ebenso begründete er das Ehe- und Familienzentrum der Diözese Feldkirch mit, nach seinem Ausscheiden wurde er zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Seine Handschrift tragen auch die ARGE Mobile Hilfsdienste sowie der Betreuungspool Vorarlberg. Bis 2022 arbeitete er zudem in verschiedenen Funktionen im Vorstand von HPE mit. Bei der Erneuerung des Bildungshauses Batschuns war er hauptverantwortlich für die Gesamtfinanzierung, die bei rund sechs Millionen Euro lag. Und schließlich war Willi Hagleitner längstdienender Stadtrat in Bregenz und vor allem in den Bereichen Gesundheit, Soziales, Familie, Integration und Senioren tätig. Nach 55 Jahren Zugehörigkeit verzichtete er 2020 auf eine neuerliche Kandidatur. Nach wie vor ist Willig Hagleitner Mitglied des Wohnbauförderungsbeirats und Kuratoriums des Landeswohnbaufonds.
Tausende ehrenamtliche Stunden hat er dafür aufgewendet, ist Tausende von Kilometern durchs Land gefahren. Nun will er langsam auch die restlichen Ämter auslaufen lassen. Dabei ist sein Rat immer noch gefragt, wie zahlreiche Anrufe während unseres Gesprächs zeigen.

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