Zahl der Sozialhilfebezieher leicht gestiegen: Teuerung als große Herausforderung

Landesrätin spricht von konstanter Entwicklung. Dowas-Geschäftsführer kritisiert Propaganda gegen Arme. Über 50 Mal wurde sowohl verwarnt als auch gekürzt.
Schwarzach 5282 Menschen sind in Vorarlberg von der Sozialhilfe abhängig. Das heißt, dass sie entweder kein Einkommen haben oder dieses nicht ausreicht, um sich das Leben leisten zu können. 1947 der Betroffenen sind Kinder. Das ergibt die erste Bilanz für die Zeit von Jänner bis Ende Juni des vergangenen Jahres. „Die Entwicklung in der Sozialhilfe ist sehr konstant. Das betrifft sowohl die Anzahl an Beziehenden als auch die finanziellen Mittel, die wir dafür aufwenden“, berichtet Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) den VN. So gab das Land im ersten Halbjahr 2022 10,6 Millionen Euro für die Sozialleistung aus, im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es knapp 360.000 Euro mehr, wenngleich die Zahl der Bezieher etwas niedriger war. Das liegt unter anderem daran, dass heuer mehr Erwachsene Sozialhilfe erhalten.
“Die Ärmsten werden unter Druck gesetzt”
Peter Brunner, Geschäftsführer der Sozialeinrichtung Dowas, warnt indes vor den Folgen von zu geringen Hilfsleistungen. Das Grundsatzgesetz des Bundes, das den Ländern bei der Sozialhilfe maßgebliche Spielräume genommen hatte, bezeichnet er als Konstruktionsfehler. Die Unterstützung für Kinder sei sukzessive gesunken, Wohnkosten würden mit Obergrenzen nicht mehr zur Gänze berücksichtigt. Auf verschiedene Lebenssituationen könne kaum noch individuell eingegangen werden. Brunner ortet Bemühungen, „die Ärmsten der Armen unter Druck zu setzen“.

Politischer Wille im Land
In Vorarlberg sei es um die Sozialhilfe noch besser gestellt, sagt er. „Hier ist der politische Wille spürbar, Aspekte wie die geringen Kinderrichtsätze und hohen Wohnkosten zu berücksichtigen“, sagt der Dowas-Geschäftsführer.
Tatsächlich hat das Land die Wohnkostenhöchstsätze mit Jahresbeginn angehoben. „Das brachte eine Verbesserung“, berichtet Wiesflecker. „Im Juni 2021 wurden noch 33 Prozent der Wohnkosten gedeckelt. Im Juni 2022 sind es noch 17,5 Prozent.“ Ab Jänner des kommenden Jahres wird es auch mehr Geld für armutsgefährdete Kinder in der Mindestsicherung geben, nämlich monatlich rund 29 Euro mehr pro Minderjährigen mit Sozialhilfebezug. „Zusätzlich haben wir ab Herbst das leistbare Mittagessen für Kinder und Familien gemeinsam mit den Gemeinden umgesetzt.“
Mehr Unterstützung denkbar
Die Soziallandesrätin beteuert, die Situation rund um Teuerung, Energiekrise und Pandemie weiterhin genau zu beobachten: „Gegebenenfalls werden wir in enger Abstimmung mit dem Bund weitere Unterstützungsleistungen überlegen.“ Armutsgefährdete Familien dürften nicht in Existenznöte kommen.
Dowas-Geschäftsführer Brunner stimmt zu, fordert aber gleichzeitig, die hohe Inflation noch mit einzuberechnen. Die tatsächlichen Kosten für Kinder seien stärker zu berücksichtigen. Außerdem müsse bei den Wohnkosten nachgeholfen werden. Zugleich habe die massive Teuerung eine folgenschwere Dynamik in Gang gesetzt, verweist Brunner auf die anstehenden Indexanpassungen in vielen Bereichen: Versicherungen, Mieten, Betriebskosten, etc. „All das hängt am Verbraucherpreisindex. Ich weiß nicht, ob man eine Anpassung von bis zu zehn Prozent auffangen kann, wenn das Geld schon vorher zum Lebensunterhalt und für die Wohnkosten nicht gereicht hat.“

Der Dowas-Geschäftsführer übt außerdem Kritik an „der langjährigen Propaganda gegenüber Menschen, die nicht so leistungsfähig sind. Diese ist mittlerweile überall spürbar.“ Das Bild, wonach Sozialhilfebezieher nicht arbeiten und bewusst in der Sozialhilfe bleiben wollten, sei aber falsch, beteuert er. Vielmehr handle es sich um Lebensphasen, die aus unterschiedlichen Gründen – von Krankheit bis zu Geringverdienern mit Kindern – zustande kämen.
Durchschnittsbezug: Halbes Jahr
Aktuell wird die Sozialhilfe in Vorarlberg durchschnittlich für 6,1 Monate bezogen, „bei rückläufiger Tendenz“, betont Wiesflecker: „Das heißt, die Vermittlung an den Arbeitsmarkt funktioniert gut.“ Ein Drittel jener, die Sozialhilfe bekommen, sind sogenannte Aufstocker: So reicht zum Beispiel ihre Mindestpension, das Arbeitslosengeld oder sonstiges Einkommen zum Leben nicht aus.
57 Personen wurden im ersten Halbjahr verwarnt. 46 davon, weil sie zu wenig Bereitschaft zeigten, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Elf, weil sie gegen ihre Integrationspflichten verstoßen hatten. In 57 weiteren Fällen wurde die Sozialhilfe gekürzt.
Die Sozialhilfe in Vorarlberg In Zahlen
5282 Personen zählte das Land im ersten Halbjahr 2022 an Bezieherinnen und Beziehern der Sozialhilfe. 1947 davon waren Kinder, 3335 Erwachsene. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2021 ist die Zahl leicht gestiegen. Damals waren es 5197 (davon 2079 Kinder)
37 Prozent der Sozialhilfe-Bezieherinnen und -Bezieher stammt aus Österreich, gefolgt von Syrien (18 Prozent), der Russischen Föderation (7), Afghanistan (4) und Deutschland (3 Prozent). Die sonstigen 31 Prozent teilen sich unter anderem auf Somalia, den Irak, Serbien und die Türkei auf.
6,1 Monate beträgt die durchschnittliche Bezugsdauer aller Sozialhilfe-Beziehenden. Die durchschnittliche Bezugsdauer österreichischer Beziehenden beträgt sechs Monate.
762,5 Euro beträgt die durchschnittliche Höhe der Sozialhilfe.
10,6 Millionen Euro gab das Land Vorarlberg im ersten Halbjahr für die Sozialhilfe aus. Im Vorjahr waren es 10,95 Millionen Euro.
57 Mal wurde die Sozialhilfe in den ersten sechs Monaten dieses Jahres gekürzt. Zusätzlich gab es in weiteren 57 Fällen Verwarnungen.