Thomas Matt

Kommentar

Thomas Matt

Irgendwann …

VN / 16.08.2022 • 15:00 Uhr / 2 Minuten Lesezeit

An diesem Abend glomm in ihren Augen ein Tagtraum. Sie räkelte die Zehen im Sand, wie sie es als Kind getan hatte. Ihre Haut brannte noch von der Hitze des Tages. Erleichtert atmete sie die kühle Meeresbrise. Sie trank einen Schluck, unachtsam, und dicke Tropfen hinterließen rote Flecken auf ihrem Shirt. Zu Hause stünde sie sofort am Waschbecken und hantierte ärgerlich mit Fleckensalz. Aber hier…

Hier war alles anders. Leichter irgendwie und unbekümmert. Das verspielte junge Paar aus der Juniorsuite spazierte den Strand entlang und winkte herüber. Nette Leute, sie würden morgen nach Hause fliegen. Kosteten noch jeden Augenblick aus, bevor sie der Alltag wiederhatte. Wie aus einem Nebel dämmerten Kinder, ihr Mann, das Haus, die Wäsche, der Job, die Schulden herauf … das war ihr Alltag. Ihre Rolle. Oder vielmehr ihre Rollen, denn so ein Frauenleben erfordert ein ganzes Ensemble an Rollenbildern, die fliegend gewechselt werden. Wie es die Regie eben vorsieht.

Die paar Tage Auszeit, die sie sich gegönnt hatte, waren anders gewesen. Ein Textbuch mit leeren Seiten. Das hatte einen verwegenen Gedanken keimen lassen: Wie das wohl wäre, wenn sie ihre Rolle selber schreiben würde? Irgendwann… Da fiept das Handy. Eine Nachricht blinkt auf: „Ich vreu mich so!“ Ihr Jüngster hat das getippt. „Freu“ mit „V“. Gott, sie darf sein Geschenk nicht vergessen. Und im Aufstehen hat sie schon wieder eine Liste vor Augen.

Thomas Matt
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