Kein Vergleich zu 2015 und 2016: Das sagt Migrationsforscher Knaus

Der Experten sieht eine “Fluchtursache Putin”.
Berlin, Schwarzach Immer mehr Menschen machen sich auf die Flucht. Die Zahl jener, die in Österreich einen Asylantrag gestellt haben, ist heuer deutlich gestiegen. Hinzu kommen die Kriegsvertriebenen aus der Ukraine, die automatisch temporären Schutz erhalten. Mit der Fluchtbewegung 2015 und 2016 ließe sich die aktuelle Situation aber keinesfalls vergleichen, sagt der Migrationsforscher Gerald Knaus im VN-Gespräch. Der bevorstehende historische Fluchtwinter habe nichts mit Kontrollverlust und irregulärer Migration zu tun, sondern vielmehr mit legaler. Das liege am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Knaus spricht von einer „Fluchtursache Putin“ und meint damit Kremlchef Wladimir Putin.
Drei Bewegungen
Grundsätzlich unterscheidet der Vorsitzende der Europäischen Stabilitätsinitiative ESI drei Bewegungen. „Das eine ist europaweit die größte Flucht seit den 1940er-Jahren.“ Über vier Millionen Menschen aus der Ukraine hätten bereits in Europa temporären Schutz erhalten. Dies sei auch der Hauptgrund für die Rekordzahlen in Österreich. „Dazu muss man aber sagen, dass proportional pro Kopf Tschechien, die Slowakei, Polen, die baltischen Staaten und auch Deutschland mehr Ukrainer aufgenommen haben.“ Mit Ende September haben 82.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Österreich um temporären Schutz angesucht.

Als zweiten Punkt verweist Knaus auf die Zahl der Asylanträge. Heuer sind sie laut Innenministerium von Jänner bis September auf 71.885 angestiegen. 2021 waren es insgesamt knapp 40.000. Pro Kopf liege Österreich bei den Asylantragszahlen nach Zypern an zweiter Stelle in der EU, sagt der Experte. „Es bleibt aber die Frage: Wie viele Menschen bleiben tatsächlich in Österreich?“ Bei verstärkten Kontrollen an den Außengrenzen würden auch mehr Menschen einen Antrag stellen, dann aber weiterreisen. Auffallend ist nach Angaben des österreichischen Experten mit Vorarlberger Wurzeln jedenfalls: „Wir haben keine dauerhaft große Fluchtbewegung, sondern eine Verschiebung.“ Jene, die sich auf den Weg in Richtung Österreich machten, hätten sich zuvor oft schon zwei, drei Jahre in Griechenland befunden. „Die Situation für Asylsuchende hat sich dort ziemlich verschlechtert.“ Dies sei auch Teil einer bewussten Politik.
Visafrei über Serbien
Als dritten Faktor thematisiert Knaus „das besondere Phänomen von Menschen aus Ländern wie Indien, Tunesien oder Burundi, die visafrei über Serbien kommen.“ Durch eine Harmonisierung der Visagesetze ließe sich das sofort ändern. Des Weiteren müssten aber wohl viele Menschen aus der Ukraine fliehen. „Das hängt vom Krieg ab.“
Der Migrationsforscher gibt zu bedenken: „Das Beispiel der Ukrainer zeigt, dass viele Flüchtlinge zurückkehren wollen, wenn sie das können.“ Nun habe Russland seine Angriffe im ganzen Land wieder verstärkt, insbesondere auf die wichtige Elektrizitätsinfrastruktur. Diese könnte mitunter vollständig zerstört werden. Außerdem drohe Hyperinflation. „Durch die Art der Kriegsführung könnte es diesen Winter eine relativ große Fluchtbewegung geben.“

Die Entwicklungen spiegeln sich in den Vorarlberger Daten zur Grundversorgung wider. Im September befanden sich dem Land zufolge 2809 Personen in der Grundversorgung, davon 1684 Vertriebene aus der Ukraine. Insgesamt waren 1988 Ukrainerinnen und Ukrainer in Vorarlberg registriert. 304 davon brauchten den Angaben zufolge keine Grundversorgung mehr, da sie erwerbstätig waren. Im Unterschied zu Asylwerbern dürfen Flüchtlinge aus der Ukraine arbeiten. Sie haben nämlich einen Sonderstatus. Im September des Vorjahres befanden sich noch 857 Menschen in der Grundversorgung.