Klima und Verkehr: Die Folgen von Tempo 100 auf der Autobahn

Experten listen mehrere Vorteile auf, Politik bremst aber.
Magdalena Raos, Julia Schilly
Wien, Schwarzach Tempo 100 auf den Autobahnen zählt zu den Forderungen jener Klimaaktivisten der “letzten Generation”, die immer wieder Störaktionen des Straßenverkehrs in Österreich setzen. Viele Verkehrsexperten befürworten die Geschwindigkeitsreduktion. Von der Politik wird diese Idee ausgebremst. Das Land verweist auf die Zuständigkeit des Bundes. Der Autofahrerclub ÖAMTC sieht zwar Vorteile für den oder die Einzelnen, stellt sich aber gegen eine gesetzliche Maßnahme.
Sorgenkind Verkehr
Fest steht: Will Österreich die Pariser Klimaziele erreichen, dann muss der CO2-Ausstoß sinken. Der Verkehrsbereich gilt als Sorgenkind der österreichischen Klimapolitik. Erst kürzlich sind neue Zahlen des Umweltbundesamtes veröffentlicht worden. Im Verkehrsbereich sind die Emissionen gegenüber 2020 durch den höheren Kraftstoffabsatz um 4,2 Prozent beziehungsweise 0,9 Millionen Tonnen gestiegen.

Barbara Laa, Verkehrsexpertin an der Technischen Universität Wien (TU), erläutert im Gespräch mit den VN: “Bei der Temporeduktion wird durch den geringeren Luftwiderstand weniger Kraftstoff benötigt und somit auch weniger CO2 emittiert. Das sind circa 23 Prozent, die von Tempo 130 auf 100 eingespart werden.” Stickoxide werden sogar noch stärker reduziert.
Flüssigerer Verkehr
Tempo 100 führe auch zu weniger Lärm und Feinstaub, sagt Laa. Abgesehen von Umweltaspekten, bringe die Maßnahme weitere Vorteile: Autofahren wird durch weniger Kraftstoffverbrauch insgesamt billiger. “Die Unfallwahrscheinlichkeit sinkt und sollte es zu einem Unfall kommen, sind die Folgen geringer. Das heißt, durch diese Maßnahmen könnten Menschenleben gerettet und Verletzte ‘eingespart’ werden.”
Schließlich werde auch der Verkehrsfluss besser, berichtet Laa: “Neben der Unfallsreduktion, wird homogener gefahren. Jetzt fahren manche schneller, manche langsamer. Dadurch entsteht ein ungleicher Verkehrsfluss, der Stauwirkung befördert.” Auch die Kapazität einer Straße wird gesteigert: Wenn die Geschwindigkeit niedriger ist, können mehr Autos auf einem Abschnitt in der gleichen Zeit durchgebracht werden.
Gesamtkonzept beachten
Laa weist darauf hin, dass es sinnvoll wäre, Tempo 100 in ein Gesamtverkehrskonzept einzubetten. Denn ansonsten bestünde die Gefahr, dass Autofahrer auf andere Straßen ausweichen, wenn die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen Überlandstraßen und Autobahnen nicht mehr besonders groß sind. “Daher stellt sich die Frage: Kombiniert man Tempo 100 nicht gleich mit Tempo 80 außer Orts, um diesen Effekten vorzubeugen und auch dort Emissionen zu sparen.”

Verhaltene Reaktion in Vorarlberg
Politische Entscheidungsträger halten sich in der Diskussion bedeckt. In Vorarlberg verweist Verkehrslandesrat Marco Tittler (ÖVP) auf die Zuständigkeit von Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) für die Verordnung des Tempolimits. Dem Land kommt in dieser Frage keine Kompetenz zu. Tittler fügt hinzu: „Für Vorarlberg und die Rheintalautobahn wäre es aber jedenfalls zielführend, wenn die Installation der schon lange geforderten Verkehrsbeeinflussungsanlage vorgenommen wird, um den Verkehr situativ steuern zu können.“
Diese Woche äußerte sich auch Gewessler bei Vorarlberg LIVE zur Frage von Tempolimits: „Die Fakten liegen auf dem Tisch. Weniger Tempo heißt mehr Geld im Geldbörsel, mehr Sicherheit auf den Straßen, mehr Klimaschutz.“ Für eine generelle Änderung brauche es aber eine parlamentarische Mehrheit und diese gebe es nicht. ÖVP, SPÖ, FPÖ und Neos seien dagegen.
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“Dominante Fake-Informationen” zu Tempo 100
Auch in der Bevölkerung fallen die Reaktionen auf die mögliche Verkehrsmaßnahme jedenfalls verhalten aus. “Der Hauptgrund für den Widerstand liegt in den nicht bekannten Fakten und den dominanten Fake-Informationen. Da bedarf es einer breiten Öffentlichkeitsarbeit”, sagt Verkehrforscher Gerd Sammer von der Universität für Bodenkultur (Boku) den VN. Ein Umdenken benötige viel Sachinformation und Aufklärung.
Ausnahmen für Elektroautos?
Laa und Sammer sind sich einige, dass es keine Ausnahme für E-Autos geben sollte. Effekte wie Reifenabrieb bleiben gleich. Und mit zunehmender Geschwindigkeit werde mehr Energie verbraucht, in diesem Fall eben elektrische, die auch knapp ist. “Wenn man die CO2-Emissionen der Fahrzeugherstellung einbezieht, so sind Elektroautos nicht so viel besser als fossil angetriebene Kfz: Bei einem mittleren Pkw hat ein Elektroauto erst ab etwa 75.000 zurückgelegten km weniger Co2-Emissionen”, berichtet Sammer. “Auch die Effekte für einen besseren Verkehrsfluss verschwinden. Ich verstehe zwar die Idee für den Anreiz zum Umstieg, halte aber eine Ausnahme aus verkehrsplanerischer Sicht für nicht sinnvoll”, sagt Barbara Laa.
ÖAMTC verweist auf finanzielle Vorteile
Der Autofahrerclub ÖAMTC ist zwar gegen eine gesetzliche Maßnahme, unterstreicht aber die individuellen Vorteile durch ein niedrigeres Fahrtempo. Gerade was die derzeitigen Spritpreise angehe. „Tatsächlich kann auf Einzelfahrten mit hohem Autobahnanteil, und nur dort, die individuelle Einsparung 20 bis 30 Prozent betragen, wenn man maximal 100 km/h statt 130 fährt“, sagt Jürgen Wagner, Sprecher des ÖAMTC Vorarlberg. Dies rechtfertige aber noch kein allgemeines Tempolimit. Umgelegt auf den gesamten Verkehr in Österreich bleibe nur ein „magerer Spareffekt“ von ein bis drei Prozent übrig.

Rund ein Drittel der Gesamtverkehrsleistung, also die von allen Fahrzeugen zurückgelegten Kilometer, würden von Pkw auf Autobahnen erbracht, führt Wagner aus. Mehr als die Hälfte finde in Bereichen mit Geschwindigkeitsbeschränkungen statt. „Viel entscheidender als die erlaubte Höchstgeschwindigkeit sind daher die erzielten Durchschnittsgeschwindigkeiten, und die sind deutlich niedriger“, meint der Sprecher des Autofahrerclubs.
Laa bestätigt, dass es insgesamt weniger Einsparungen sind als die angeführten 23 Prozent, weil teilweise schon Tempo 100 auf manchen Abschnitten gilt. Aber, so die Wissenschafterin: “Insgesamt gibt es dennoch noch eine hohe Einsparungswirkung an CO2-Emissionen.”
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