Parteien von gestern für Probleme von morgen
Man kann schon weiter so tun, als wär’ nichts geschehen. Als sei alles immer noch so wie früher. Als müsse man die Funktionäre nur ordentlich aufscheuchen und dann laufe die Maschinerie. Als sei die Gesellschaft gestärkt aus der Corona-pandemie gekommen, als gäbe es keine bedrohliche Teuerung, als läge die Diskussion um Korruption hinter der ÖVP. In all diesen Fällen muss man sagen: Das Gegenteil ist der Fall.
Das, was früher vielleicht ging, das geht heute nicht mehr. Nicht einmal in Niederösterreich, das als Kernland bislang die Standards der ÖVP setzte. Etwas “niederösterreichisch” zu lösen, heißt ÖVP-intern eine entsprechende Durchsetzungskraft, ja durchaus Brutalität spüren zu lassen. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und die Ihren werden in den kommenden Verhandlungstagen den Machtverlust deutlich spüren.
Die rote Bundesvorsitzende Pamela Rendi-Wagner dürfte mit diesem Wahlergebnis in Niederösterreich dem eigenen Eingeständnis einen Schritt näher sein, dass der Kurs nicht stimmt. Ihre verkopft-intellektuelle SPÖ ist nichts, mit dem die einstige Arbeiterpartei die Massen mobilisieren kann. Nicht einmal bei Rückenwind: wenn die Volkspartei mehr als schwächelt, wenn alles teurer geworden ist und die SPÖ bei den Lohnverhandlungen eine klare Position hätte. Das schwache Ergebnis der SPÖ wird unweigerlich zu einer neuerlichen Personaldebatte auf Bundesebene führen – problematischer als jene, die auch auf den 64-jährigen Franz Schnabl in St. Pölten zukommen wird.
Die FPÖ hat in diesem Klima von Zukunftsangst, politischer Unzufriedenheit, neuem Zuwanderungsdruck und Coronageschlauchtheit ihren Wahlsieg eingefahren. Nicht mit Lösungen, die gibt es bei der FPÖ traditionell nicht. Jedoch gaben mehr Niederösterreicher als je zuvor dem FPÖ-Kandidaten vom rechten Rand, Udo Landbauer, ihre Stimme. Bundesparteiobmann Herbert Kickl hat es ebenso geschafft, das Corona-kritische Lager einzugemeinden. Wir erinnern uns: vor MFG – nun nahe bei null Prozent – fürchteten sich ÖVP, SPÖ, Grüne & Neos vor gar nicht allzulanger Zeit. Jetzt ist bei allen Parteistrategen FPÖ-Panik angesagt.
Es ist zu kurz gegriffen, wenn Johanna Mikl-Leitner in Interviews am Sonntagabend die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Krisen in die Bundeszuständigkeit überantwortet. Diese Formulierung kann nur als Hinweis an Bundeskanzler Karl Nehammer verstanden werden, dass die niederösterreichische Unterstützung in den kommenden Monaten schwinden könnte. Nehammer wünscht offenbar eine „Law and Order”-Positionierung mit Reisen an die EU-Außengrenze gemeinsam mit dem eigenwilligen Innenminister, auch aus Niederösterreich. Die Menschen wählen dennoch die FPÖ. Die Befeuerung des Asylthemas ist für die ÖVP zum Bumerang geworden.
Nebeneffekt des politischen Umbruchs in Niederösterreich ist nun, dass die Vorarlberger ÖVP sich auf die Fahnen schreiben kann, stärkste Landesgruppe der Konservativen zu sein. Vor allem deshalb, weil die letzte Zeitmessung in Vorarlberg mit dem Jahr 2019 so lange zurückliegt. Die politischen Parteien stehen vor der Aufgabe, sich neu zu erfinden. Einfach weiterzumachen wie bisher, ist keine Option. Die Menschen in diesem Land können das ja auch nicht.
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