Unverfroren
Dass der FPÖ-Spitzenkandidat Landbauer in erster Linie mit Aversionen gegen Ausländer im Allgemeinen und Flüchtlinge im Besonderen bei der niederösterreichischen Landtagswahl erfolgreich war, ist schlimm genug. Nach der Wahl setzte er aber noch eines drauf: Als „Unverfrorenheit“ bezeichnete er die finanzielle Unterstützung Österreichs für die Katastrophenhilfe in der Türkei und in Syrien. Bei einer solchen Geisteshaltung muss man geradezu froh sein, dass Landbauer keinen Ausreisestopp für Hilfskräfte fordert.
„Wien ist ohne frühere Zuwanderung gar nicht denkbar.“
Nach der erfolgreich geschlagenen Wahl konnte sich auch der niederösterreichische FPÖ-Landesrat Waldhäusl nicht zurückhalten. Einer Schülerin mit Migrationshintergrund sagte er bei einer Diskussion ins Gesicht, dass ohne Leute wie sie Wien noch Wien wäre. Dabei ist Wien, wie wir es kennen, ohne frühere Zuwanderung aus den verschiedensprachigen Kronländern der Monarchie gar nicht dankbar. Und der Herr Waldhäusl könnte ein ganz einfaches Gedankenexperiment anstellen: Was würde in Wien (aber auch in ganz Österreich) geschehen, wenn alle Menschen mit Migrationshintergrund auch nur einen Tag lang ihre Arbeit niederlegten? Das alles zeigt ein Menschenbild, das zunächst einmal sprachlos macht. Von Sprachlosigkeit betroffen sind nach wie vor auch die meisten Kirchenvertreter. Bis auf den evangelischen Bischof Chalupka übten sie sich bisher in nobler Zurückhaltung.
Natürlich wird die FPÖ nicht wegen solcher Ausfälle gewählt, die meisten Wählerinnen und Wähler signalisieren auf diese Weise einfach Unzufriedenheit mit „der Politik“ im Allgemeinen und der Asylpolitik im Besonderen, zu der auch intensivere Integration gehören würde. Und da läuft tatsächlich nicht alles rund, obwohl wir früher sogar einmal einen eigenen Integrationsstaatssekretär (den späteren Bundeskanzler Kurz) hatten. Unkontrollierte und überbordende Zuwanderung ist natürlich nur durch die EU als Ganzes zu bewältigen und da hat sich Österreich als besonders stark betroffenes Land lange Zeit gelassen, bis wirklich wirksamer Druck ausgeübt wird. Gleiches gilt für die Rückwanderung jener zahlreichen Migranten, die keinen Anspruch auf Asyl haben – ganz abgesehen von den Straftätern, die nicht abgeschoben werden können und weiter hier leben, als ob nichts gewesen wäre.
Bei dem damit zusammenhängenden Verlust an Sicherheitsgefühl, das sich – häufig geschürt – immer mehr breit macht, darf allerdings nicht übersehen werden, dass gar nicht wenige der besonders spektakulären Straftaten mit vorausgegangenem Behördenversagen und mit langmütiger Unentschlossenheit zusammenhängen.
Jürgen Weiss
juergen.weiss@vn.at
Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.
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