Irgendwas stimmt mit mir nicht
Vor ein paar Monaten bin ich in Wien umgezogen, von der gediegenen, gutbürgerlichen Josefstadt nach Ottakring, in die Gegend des Brunnenmarktes. In der Josefstadt wohnte ich fast zwanzig Jahre, und natürlich lernt man da mit der Zeit einige der Nachbarn kennen, zuerst die aus dem Haus, dann die auf dem Balkon gegenüber, dann die am lokalen Spielplatz, später die, die auch einen Hund hatten. Guten Morgen!
„Sie lächeln, weil ich lächle. Das macht die Gegend, die freundliche Nachbarschaft, das tägliche Servus: das nette Dorf, in dem ich hier gelandet bin.“
Aber da, wo ich jetzt wohne, ist es nochmal ganz anders, vielleicht durch die vielen Lokale und Handwerksbetriebe oder weil sich hier durch den Markt mehr auf der Straße abspielt. Unlängst fiel es mir auf: Es ist hier wie am Dorf. Der junge Chef vom Installateursbetrieb im Nebenhaus nickt mir ebenso zu, wenn ich vorbeigehe, wie der Herrenfriseur und der Mechaniker der Fahrradwerkstatt. Die orangen Männer vom Markt-Müllplatz wünschen mir einen guten Morgen, wenn ich in der Früh mit dem Hund vorbeispaziere, auch guten Morgen! Dann grüßt mich der Mann, der den kleinen Haushaltswarenladen am Markt betreibt, er ist am Weg in sein Geschäft, vor dem er, bis ich mit dem Hund wieder zurück bin, schon seine Waren auf dem Gehsteig aufgebaut hat. Es grüßt mich der Mann vom Käse-Marktstand, wenn ich später einkaufen gehe, mit dem Hund kann ich da nicht vorbei, der könnte den Käselaibern davor nicht widerstehen. Es grüßt mich sein Sohn am Stand daneben. Es drückt mir – Servus! – der Mann vom Falafelstand eine Serviette mit einer dampfenden, frisch frittierten Falafel in die Hand. Danke, einen schönen Tag! Es grüßt mich der türkische Bäcker, wenn er gerade Mehlsäcke vom Keller in die Backstube schleppt. Es winkt mir die Kellnerin der Oase, wo ich mittags manchmal eine Linsensuppe esse und einen Chai trinke, durch die Fensterscheibe zu. Es ruft mich Raetus, der Wirt vom Restaurant Wetter am Yppenplatz, auf einen Espresso herein, wenn das Lokal noch geschlossen hat, er aber schon die Gerichte für den Abend vorbereitet. Es grüßt mich die Bauernfamilie, die freitags und samstags vis a vis frisches Gemüse verkauft, hallo, wie gehts, endlich wirds wärmer!
Seit ich in dieser Gegend wohne, ist mir etwas aufgefallen: Wildfremde Leute lächeln mich an, wenn ich mit dem Hund durch die Gassen ziehe, und die ersten paar Male habe ich mein Gesicht abgetastet, ob damit etwas nicht stimmt, vielleicht hängt mir ein Rotzbemmerl aus der Nase oder ich habe mir Wimperntusche über die Backe geschmiert. Aber nix, und schließlich ist mir klar geworden, was da los ist: Sie lächeln, weil ich lächle. Das macht die Gegend, die freundliche Nachbarschaft, das tägliche Servus: das nette Dorf, in dem ich hier gelandet bin.
Doris Knecht
doris.knecht@vn.at
Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
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