Jürgen Weiss

Kommentar

Jürgen Weiss

Falscher Ort

VN / 28.02.2023 • 08:00 Uhr / 3 Minuten Lesezeit

Die am Samstag in Berlin von der Linksaußen-Politikerin Wagenknecht organisierte Demonstration für Friedensverhandlungen mit Putin hat unter reger Beteiligung aus der rechtsextremen AfD vor dem Brandenburger Tor stattgefunden. Passender wäre wohl gewesen, vor der russischen Botschaft zu demonstrieren – vom Roten Platz in Moskau ganz zu schweigen. Aber wenn es nach dem tschetschenischen Präsidenten und Putin-Freund Kadyrow geht, wären Ostberlin und die frühere DDR ohnedies bald wieder im russischen Einflussbereich – „wir müssen zurückkehren, das ist unser Territorium“.

„Es stellt sich die Frage nach unseren Sicherheitsperspektiven.“

Bei aller Kritik am russischen Überfall auf die Ukraine und die dort verübten Grausamkeiten an der Bevölkerung schwingt bei manchen Menschen klammheimliches Verständnis mit – man hätte eben die osteuropäischen Länder nicht in die NATO aufnehmen und damit Russland reizen dürfen, sondern einfach ihrem Schicksal überlassen sollen. Das übersieht, dass sich in einer zwischen der NATO und Russland 1997 abgeschlossenen Vereinbarung beide Seiten verpflichtet haben, die Souveränität aller Staaten zu achten, und Russland anerkannt hat, kein Vetorecht gegen einen NATO-Beitritt anderer Länder zu haben. Erst im Zuge des Ukraine-Konflikts hat Russland die Osterweiterung als nachträgliche Rechtfertigung seiner Aggression herangezogen. Keine Bedrohung Westeuropas ist aus Sicht Russlands allerdings die Tatsache, dass an der Grenze zwischen Polen und Litauen seit 1945 Russland die nie russisch, sondern durch Jahrhunderte deutsch gewesene Stadt Königsberg einfach besetzt hält und dort wenige Raketenminuten von Berlin entfernt einen gewaltigen Militärstützpunkt samt Atomwaffen unterhält.

Der Überfall auf die bei Wien näher als Vorarlberg liegende Ukraine führt dazu, dass für Österreich zunehmend die Frage nach unseren Sicherheitsperspektiven und dem Stellenwert der Neutralität gestellt wird. Dabei wird oft ausgeblendet, dass wir bereits seit 2009 in der EU im Falle eines militärischen Angriffs auf ein Mitgliedsland eine Beistandspflicht haben, aus der sich Österreich allerdings unter Hinweis auf seine Neutralität ausklinken könnte. Einen Beistand zu erwarten, den man selbst nicht geben will, wird die anderen Mitgliedsstaaten der EU allerdings nicht motivieren, sich für Österreichs Sicherheit besonders intensiv zu engagieren. In einem offenen Brief von nahezu hundert namhaften Persönlichkeiten an die politische Führung halten diese es für realitätsfern, dass sich Österreich allein mit einer friedlichen Außenpolitik aus allen militärischen Konflikten heraushalten und selbst schützen könne. Vielmehr sei eine aktive Mitwirkung an der Stabilisierung Europas und eine ernsthafte Diskussion über die außen- und sicherheitspolitische Zukunft Österreichs erforderlich. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Jürgen Weiss

juergen.weiss@vn.at

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.

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