Thomas Matt

Kommentar

Thomas Matt

Frühling 2023

VN / 28.02.2023 • 18:00 Uhr / 2 Minuten Lesezeit

Der eiskalte Wind greift über den See und kräuselt die Wellen. Mühelos fährt die Brise unter die Jacke und nährt die Zweifel daran, ob der Beginn der Grillsaison nicht vielleicht doch etwas früh angesetzt wurde. Aber die Flammen im Lagerfeuer tänzeln, und ein heißer Tee wirkt Wunder. „Es ist gar nicht so kalt“, stottert ein kleines Mädchen und zieht blitzartig den quietschblauen Zeh aus dem Wasser. Der Sommer ist einen Steinwurf entfernt. Man muss nur fest daran glauben.

Und ich denke mir: Irgendwo am Baikalsee in Sibirien steht jetzt ein Russe und stößt ein Loch ins Eis, und am Jalpuhsee nahe Odessa reckt gerade eine Ukrainerin ihre Wangen in den Wind, und am Michigansee, wo es heute null Grad hat, drückt ein Kind seine Nase am Fenster platt, auf dem schon weniger Eisblumen wachsen. Und alle, alle sehnen sie sich nach Frühling. Drücken jedem Schneeglöckchen die Daumen, oder was immer bei denen halt gerade durch die Erde stößt.

Der Fisch, das Würstchen oder der Hamburger, die wenig später leicht verkohlt den Weg zu den Geschmacksnerven finden, hinterlassen dort die herrlichsten Eindrücke, die durch nichts zu erklären sind als durch die pure Lust auf Leben. Und niemand, der jetzt den Frühling erwartet, will sich von irgendeinem machtbesessenen Potentaten zur Schlachtbank führen lassen. Sowas hat in Frühlingsgedanken keinen Platz. Und doch geschieht es. Wieder und wieder.

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